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Morgen ist Mittwoch

Für meine zauberhafte Enkeltochter, die mich oft fragt, wo alle sind, die nicht mehr sind. Sie hat mich zu dieser Geschichte inspiriert.

1. Kapitel

Morgen ist Mittwoch und morgen ist mein Geburtstag. Ich heiße Pia und ich werde fünf Jahre alt. „Was wünschst du dir denn, Pia?“, fragen Mama und Papa. Sie sehen mich erwartungsvoll an. Ich lege meine Stirn in Falten, wie es die Erwachsenen tun. Lange sage ich nichts, denn ich denke nach. Jedenfalls tue ich so. Ich weiß schon längst, was ich mir wünsche. „Na?“, fragen Mama und Papa gespannt wie aus einem Mund.

„Ich wünsche mir ein Schaf“, rufe ich. Dabei tanze ich in der Wohnung herum. „Woher sollen wir denn ein Schaf hernehmen?“, fragen Mama und Papa ratlos. Sie flüstern miteinander. Draußen wartet mein Freund Milan auf mich. Ich renne hinaus. Wir laufen zum Spielplatz. Dort schaukeln wir, spielen im Sandkasten und klettern in den Bäumen herum. „Morgen bekomme ich ein Schaf“, erzähle ich Milan. „Wie sieht es denn aus?“, fragt Milan. „Wie eine Wolke“, antworte ich. Ich hebe ein Stöckchen vom Boden auf. Damit zeichne ich im Sandkasten mein Schaf. „Ich bin gespannt, ob dein Schaf wirklich so aussieht“, meint Milan. „Darf ich denn morgen zu deinem Geburtstag kommen?“ „Klar“, antworte ich. „Tschüss, Milan“, rufe ich, denn es ist Abend und wir müssen nach Hause.

Nach dem Abendessen muss ich ins Bett. Mama deckt mich zu und Papa löscht das Licht. Ich versuche zu schlafen. Aber ich bin so aufgeregt, weil ich morgen Geburtstag habe. Ich kann einfach nicht schlafen. Draußen vor meinem Fenster höre ich es flüstern. Ganz vorsichtig stehe ich auf, schleiche zum Fenster und öffne es einen kleinen Spalt. Ich sehe, wie Mama und Papa zum Himmel gucken, wo der Mond groß, rund und gelb am Himmel steht. „Morgen ist Mittwoch und morgen hat unsere Pia Geburtstag“, rufen Mama und Papa leise zum Mond hinauf. „Sie wünscht sich ein Schaf. Kannst du uns nicht eins von deinen Wolkenschafen hinunterschicken? Du hast doch so viele davon.“ „Meine Schafe soll ich hinunterschicken?“, brüllt der Mond vom Himmel herunter. „Psst! Nicht so laut!“, rufen Mama und Papa. „Du weckst sonst Pia auf. Wir wollen ja nur ein Schäfchen.“ „Hm“, macht der Mond und verschwindet zum Nachdenken kurz hinter einer Nachtwolke.

Bald darauf taucht er wieder hinter ihr auf. Erst sieht man ihn nur ein bisschen. Wie ein halbes Zitronenbonbon sieht er aus. Ich fange an zu lachen. „Jemand hat doch gerade gelacht“, meint Mama. „Stimmt“, sagt Papa. „Ich habe nichts gehört“, stellt der Mond am Himmel fest und zwinkert mir zu. Er ist immer mehr hinter der Wolke hervorgerückt. Jetzt sieht er wieder rund und schön aus. „Folgendes habe ich mir überlegt“, fährt er fort. Er gibt der dunklen Nachtwolke einen kleinen Klaps, damit sie sich nicht schon wieder vor ihn schiebt. Dann zieht er ein großes Taschentuch hervor und schnäuzt sich erstmal gründlich die Nase, denn es ist kühl da oben. „Hatschi“, macht der Mond.

„Na?“, fragen Mama und Papa gespannt. „Ihr könnt meine Lola haben“, erklärt ihnen der Mond. „Es ist das schönste Schäfchen, das ich hier oben habe. Außerdem ist es sanft und lieb. Morgen am Mittwoch schicke ich es in der Früh zu euch vom Himmel herunter. Aber wie?“, grübelt er nach. „Nun gut“, seufzt er. „Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als eine Himmelsleiter zu stricken. Daran kann Lola morgen zu euch hinunterklettern. Peinlich ist das. Ein Mond, der strickt.“ Vor Verlegenheit wird er kurz ganz rot. „Komm, Nachtwolke“, knurrt er dann. „Jetzt schieb dich gefälligst vor mich. Es muss ja nicht jeder sehen, wie ich eine Himmelsleiter stricke. Hallo Wind, puste mal ordentlich, wenn ich bitten darf. Es muss ja nicht gleich jeder hören, wie meine Stricknadeln klappern. Gute Nacht“, sagt er noch. Dann verschwindet er hinter der dunklen Nachtwolke. Der Wind pustet. Trotzdem hört man ein ganz klein wenig die Stricknadeln klappern.

Mama und Papa gehen ins Haus zurück. Rasch husche ich ins Bett und mache die Augen zu, denn Mama kommt leise rein, um zu gucken, ob ich auch schlafe. Als sie wieder draußen ist, mache ich die Augen wieder auf. „Ob es Lola morgen schafft an der Himmelsleiter hinunter auf die Erde zu klettern?“, denke ich noch. Dann fallen mir wirklich die Augen zu und ich schlafe ein.

  1. Kapitel

Morgens wache ich ganz früh auf. Heute ist endlich Mittwoch. Ich bin so aufgeregt. Ob mein Schaf Lola schon da ist? Und hat der Mond die bunte Strickleiter zu Ende gestrickt? Ich laufe zum Fenster. Gespannt sehe ich hinaus. Keine Strickleiter ist zu sehen. Der Mond ist wohl zu faul gewesen. Enttäuscht drehe ich mich um. Trotzdem bin ich neugierig auf meine anderen Geschenke. Noch im Schlafanzug renne ich hinüber ins Wohnzimmer zu meinem Geburtstagstisch. Es ist ganz still im Haus. Mama und Papa schlafen noch.

Auf dem Tisch liegen meine Geschenke große und kleine alle hübsch verpackt. Ob ich schon mal heimlich eins auspacke? Vorsichtig gehe ich nah an den Tisch heran. Langsam strecke ich meine Hand aus, um nach dem kleinsten Geschenk zu greifen. Das fällt dann nicht so auf, wenn es schon mal ausgepackt ist, denke ich und kichere ein bisschen vor mich hin. Da höre ich auf einmal unter dem Tisch ein leises Geräusch. Es klingt wie ein zartes Blöken. Das ist ja komisch. Ich bücke mich und krieche unter den Tisch. Da liegt doch tatsächlich etwas, das wie eine kleine weiße Wolke aussieht.

Das kleine Wölkchen zittert. Zusammengekauert liegt es da und guckt mich ängstlich aus seinen großen blauen Augen an. Das ist Lola mein Wolkenschaf! Es ist endlich da. Der Mond hat also doch die Strickleiter fertig gestrickt. Direkt vom Himmel hat er sie herunter gestrickt durch unser Haus hindurch bis ins Wohnzimmer. Mitten in der Nacht hat er sie zu Ende gestrickt, damit es keiner bemerkt. Der Mond hat Lola einen Schubs gegeben. Sie ist die Leiter hinuntergesprungen. Das hat ziemlich lange gedauert. Denn der Weg vom Himmel zu meinem Geburtstagstisch ist ganz schön weit. Jetzt zieht der Mond die Leiter wieder zu sich hoch. Im letzten Moment kann ich sie noch erkennen. Jede Sprosse hat eine andere Farbe. Wie bunt die Leiter ist.

Schnell hole ich Lola ein Schälchen Wasser und ein Schälchen mit Haferflocken. Ich streichele mein Schaf. „Du brauchst keine Angst zu haben“, flüstere ich ihm ins Ohr. Nach einer Weile schmiegt sich Lola an mich. Langsam fängt sie an zu essen und zu trinken. Da sehe ich, dass sie ein schmales blaues Band um den Hals trägt. So blau wie ihre Augen. Ein kleiner Zettel hängt dran. Mit knallgelber Schrift ist etwas darauf geschrieben. Papa soll es mir nachher vorlesen. Ich bin ja erst fünf und kann noch nicht lesen.

Endlich höre ich Mama und Papa ins Wohnzimmer kommen. Ich krieche unter dem Tisch hervor. „Mein Schaf ist da! Mein Schaf ist da!“, rufe ich und renne in Mama und Papas Arme. Lola ist unterdessen auch unter dem Tisch hervorgekrochen. Papa liest laut vor, was auf dem Zettel steht:

„Lola darf heute den ganzen Tag bei dir bleiben, Pia, von morgens bis abends. Heute Nacht um 12 Uhr lasse ich pünktlich die Strickleiter hinunter, damit Lola wieder hinauf in den Himmel klettern kann. Aber von nun an darf sie dich jeden Mittwoch besuchen. Nachts hole ich sie dann wieder zu mir hoch. Wenn einer von euch hier unten auf der Erde rumerzählt, dass ich eine bunte Strickleiter gestrickt habe, gibt’s Ärger. Gruß Mond.“

„Ich darf dich jetzt jeden Mittwoch für einen ganzen Tag bei mir haben, kleine Lola“, flüstere ich meinem Schaf ins Ohr. Übermütig tanze ich um den Tisch herum. Lola tanzt hinter mir her. Dabei macht sie Bocksprünge mit allen vier Beinen gleichzeitig. Lustig sieht das aus. Mama und Papa lachen. „Auf den Mond kann man sich verlassen“, meint Papa. „Er kann ja ganz schön laut los schimpfen. Das denkt man gar nicht, wenn er so ruhig und gelb am Himmel steht. Aber man kann sich auf ihn verlassen. Das ist die Hauptsache.“ „Wann kommt denn Milan heute zu mir?“, frage ich. „Der wird staunen, wenn er mein Schaf sieht.“ Zusammen mit Lola tanze ich noch schneller um den Tisch herum, weil ich mich so freue. Ein bisschen sieht es aus, als würde die Lola um den Tisch herum schweben, weil sie so leicht wie eine Wolke ist.

Mama und Papa machen auf einmal ernste Gesichter. Es wird ganz still. Dann sagt Mama leise: „Milan kann heute nicht kommen, Pia. Seine Oma ist heute Nacht für immer eingeschlafen.“ Da muss ich ganz doll weinen, denn ich habe Milans Oma sehr, sehr lieb. Sie ist die beste Oma der Welt. Eigentlich heißt sie Oma Anna. Aber ich habe sie immer heimlich für mich Oma Schneeflocke genannt, weil sie so rund war mit lauter weißen Haarkringeln auf ihrem Kopf und weil sie schnell und flink und irgendwie so leicht durch die Gegend trippelte wie eine Schneeflocke. Nur Milan weiß, dass ich sie heimlich Oma Schneeflocke nenne. Und sie selbst hat es natürlich auch gewusst. Manchmal habe ich ihr leise Oma Schneeflocke ins Ohr geflüstert, weil ich sie doch so lieb habe. Dann hat sie mir über den Kopf gestrichen und dabei so seltsam gelächelt, als ob sie gleich ein bisschen weinen müsste. Oft hat sie Milan und mich vom Kindergarten abgeholt, wenn Mama und Papa keine Zeit hatten. Klein und rund hat sie in ihrem Auto gesessen und auf uns gewartet. „Hier bin ich, ihr zwei“, hat sie gerufen und uns lachend zugewunken. Wir sind zu ihr ins Auto gestiegen und als Erstes ging es ab in die Eisdiele. Jeder von uns dreien hat ein riesengroßes Erdbeereis mit Schlagsahne gegessen. Dabei haben wir Oma Schneeflocke erzählt, was wir im Kindergarten erlebt hatten. Sie hat uns zugehört. Manchmal hat sie dabei genickt oder mit dem Kopf geschüttelt, wobei ihre weissen Kringel auf dem Kopf munter hin und her wippten. Alles konnte man ihr sagen. Wenn Mama und Papa mit mir geschimpft hatten, bin ich zu ihr gelaufen und habe es ihr erzählt. Sie hat mich in die Arme genommen und mich getröstet. Immer hatte sie ein Taschentuch dabei, wenn ich weinen musste und mir dabei die Nase lief. Danach ging es mir besser. Am liebsten hätte ich Oma Schneeflocke überall mit hingenommen. Aber das ging ja nicht. Schließlich war sie Milans Oma. Und jetzt ist sie weg? Und nie mehr werde ich sie wiedersehen?

  1. Kapitel

Weinend stehe ich da. Lola schmiegt sich an meine Beine. Auf einmal renne ich ganz schnell aus dem Haus. „Kind, wo willst du hin?“, rufen Mama und Papa wie aus einem Mund. Natürlich können sie es sich denken. Sie lassen mich laufen. Ich renne die Straße hinunter, vorbei an dem Spielplatz, am Bach entlang und über eine Wiese. Lola läuft neben mir her. Dahinten ist das Haus mit dem roten Dach, in dem Milan, seine Eltern und seine Oma wohnen. Oma Schneeflocke hat direkt unter dem Dach gewohnt in einer kleinen gemütlichen Wohnung. Die Haustür steht einen Spalt offen, als ob sie alle wüssten, dass ich komme. Ich renne zusammen mit Lola die Treppe empor bis ins Schlafzimmer von Oma Schneeflocke. Milan, seine Mama und sein Papa stehen ganz still an Oma Schneeflockes Bett. Ich stelle mich ganz dicht neben Milan. Vorsichtig fasse ich seine Hand an. Sie fühlt sich nass an, weil er damit dauernd über seine Augen wischt. Lola versucht Milans Hand zu lecken. Da muss er kurz ein kleines bisschen lächeln. Doch dann weint er wieder. Alle müssen weinen. Denn alle haben Oma Schneeflocke sehr gerne. Keiner will, dass sie nicht mehr da ist. Ruhig und still liegt sie in ihrem Bett. Die weißen Kringellöckchen auf ihrem Kopf verteilen sich auf dem Kopfkissen. Sie sieht noch kleiner aus als sonst. Klein und leicht und irgendwie zart. Jetzt sieht sie wirklich aus wie eine Schneeflocke. „Ob deine Oma eine Schneeflocke geworden ist?“, flüstere ich Milan ins Ohr. „Woher soll ich das wissen?“, flüstert er zurück. Lola schleicht sich sacht ans Bett. Sie hebt den Kopf und beginnt sanft Oma Schneeflockes Hand zu lecken. „Was macht das Schaf hier?“, fragt der Papa etwas ärgerlich. „Lass es doch“, meint Milans Mama. „Ich glaube, Mutter hätte sich darüber gefreut. Schön, dass du gekommen bist, Pia“, meint sie freundlich zu mir. „Wir wissen, wie gern du Oma Anna gehabt hast. Und sie mochte dich auch.“ Ich habe sie immer noch gern, denke ich bei mir. Denn bestimmt ist sie gar nicht richtig weg. Aber wie kann ich es herausfinden?

Plötzlich habe ich eine Idee. Schnell ziehe ich Milan hinter mir her. Wir laufen aus dem Haus. Lola springt neben uns her. Außer Atem bleiben wir draußen stehen. „Weißt du noch, wie wir mit Oma Schneeflocke Verstecken gespielt haben?“, frage ich Milan etwas keuchend. Er nickt. Mit hängendem Kopf steht er da. Er ist so traurig, weil seine Oma nicht mehr da ist. „Deine Oma hat sich ganz oft hinter dem großen Eichenbaum in eurem Garten versteckt“, erkläre ich ihm eifrig. „Dann hat sie gerufen: Wo bin ich denn? Seht ihr mich? Nein, haben wir geantwortet. Wir sehen dich nicht. Wo bist du denn? Und dann, Milan, weißt du noch? Dann hat deine Oma gekichert und geantwortet: Ihr seht mich zwar nicht, Kinder, aber trotzdem bin ich da. Hier bin ich hinter dem großen Baum. Vielleicht ist deine Oma ja hinter dem Eichenbaum“, rufe ich aufgeregt. Diese Idee hatte ich, als ich Oma Schneeflocke vorhin in ihrem Bett gesehen hatte. Sofort laufen wir zu dem großen Baum und gucken nach, ob Milans Oma dahinter steht. Aber da ist sie nicht. Ratlos setzen wir uns auf einen Stein. Lola knabbert ein wenig Rinde von dem Baum ab. „Mäh“, sagt sie leise.

Auf einmal habe ich eine andere Idee. „Heute Nacht klettert Lola doch an der Strickleiter zum Himmel hinauf, die der Mond für sie gestrickt hat. Dort wartet er auf sie. Wir klettern ihr einfach heimlich hinterher, Milan. Wenn wir oben beim Mond sind, fragen wir ihn, ob er weiß, wo Oma Schneeflocke ist. Vielleicht hat sie sich ja hinter ihm versteckt.“ „Das ist eine gute Idee!“, ruft Milan begeistert. Sofort ist er viel fröhlicher. Wir springen ein bisschen um den Eichenbaum herum. Lola springt mit. Sie blökt und ihr Schwänzchen wedelt munter hin und her.

Vorsichtig gehen wir ins Haus zurück und fragen Milans Eltern, die sich unterdessen in der Küche etwas zu essen machen, ob Milan heute Nacht bei mir schlafen darf, weil doch heute Mittwoch ist und mein Geburtstag. Milans Eltern gucken sich kurz an. Sie nicken zustimmend. „Es tut Milan gut, wenn er ein wenig abgelenkt wird“, meinen sie. Wir laufen zu mir nach Hause. Mama und Papa wissen schon Bescheid, als wir außer Puste ankommen. Sie haben bereits mit Milans Eltern telefoniert. „Natürlich darf Milan heute Nacht bei dir schlafen“, sagen sie lächelnd. „Juhu!“, schreien wir begeistert. „Mäh“, macht Lola. „Ihr müsst euch später von Lola verabschieden“, mahnen Mama und Papa. „Sie klettert ja heute Nacht zum Mond hinauf.“ „Am nächsten Mittwoch kommt sie aber wieder zu mir runter geklettert“, freue ich mich. „Darf Lola zu Milan und mir ins Bett?“ Sie darf. Lola wackelt vor Freude mit dem Kopf. Wie eine Wolke schimmert ihr weißes Fell. Milan, Lola und ich spielen noch ein bisschen draußen. Schließlich rufen uns Mama und Papa rein. Es gibt Abendbrot. Dann geht’s ab Marsch ins Bett. Mama und Papa geben jedem von uns ein Küsschen auch Lola. Dann löschen sie das Licht und gehen hinaus. Ich stelle meinen kleinen Wecker auf 12 Uhr nachts. „Bis nachher, Milan“, flüstere ich. „Bis nachher, Pia“, flüstert Milan zurück. Dann schlafen wir alle drei ein. Im Schlaf stupst mich Lola mit ihrem weichen Schnäuzchen an. Ein ganz klein wenig schnarcht die Lola. Das hört sich lustig an.

  1. Kapitel

Punkt zwölf Uhr klingelt mein kleiner Wecker. Ich bin ganz verschlafen und weiß erst gar nicht, wo ich bin. Doch dann spüre ich Lolas Schnäuzchen an meiner Schulter und alles fällt mir wieder ein. Ganz vorsichtig blinzele ich durch meine Augen. Tatsächlich schimmert da etwas Buntes. Jetzt mache ich meine Augen richtig auf. Die Strickleiter ist da! Der Mond hat sie also bereits runter gelassen, damit Lola zu ihm hochklettern kann. Ich stoße Milan so doll an, dass er fast aus dem Bett fällt. „Was ist denn?“, murmelt er schlaftrunken. „Es geht los“, zischele ich ihm ins Ohr. „Da ist ja die Strickleiter“, staunt Milan. „Die sieht aber schön aus.“ Leise ziehen wir uns an. Mama und Papa dürfen uns auf keinen Fall hören. Lola blökt ein bisschen. Ihr zartes weißes Fell zittert vor Freude, weil sie bald die anderen Wolkenschäfchen wiedersehen wird.

Ich gebe Lola einen leichten Schubs, damit sie als erste auf der Strickleiter landet. Vorsichtig setzt sie ein Füßchen vor das andere. Sie klettert höher und höher. Milan folgt ihr als nächster. Ich klettere als letzte die Sprossen hinauf. Wir müssen vorsichtig klettern, denn die Strickleiter ist ja aus Wolle. Ruhig schwingt sie hin und her. Es fühlt sich seltsam an, in der stillen dunklen Nacht von zu Hause aus hinauf in den Himmel zu klettern. Uns ist ein bisschen unheimlich zumute dem Milan und mir. Zwischendurch wünschen wir uns, wir würden dort unten wieder im weichen warmen Bett liegen. Aber dann denken wir an Oma Schneeflocke, die wir suchen müssen. Wie tief unten ist die Erde. Wie friedlich sieht sie aus. Eigentlich müssen wir keine Angst haben. Lola blökt jetzt laut und fröhlich. Sie fürchtet sich überhaupt nicht.

Inzwischen sind wir ganz schön weit oben. Fast sind wir im Himmel angekommen. Da hören wir auch schon die Stimme vom Mond, die laut über den ganzen Himmel dröhnt: „Ich sehe wohl nicht recht“, brüllt er. „Wir hatten abgemacht, dass Lola immer Mittwoch in der Nacht zu mir zurückkommt. Habe ich etwa gesagt, dass du, Pia, und du, Milan, hinterher stiefelt? Nein, das habe ich nicht. Ein Wunder, dass meine Strickleiter nicht gerissen ist. Na ja, es ist eben Qualitätsarbeit“, meint er zufrieden. Rasch und geschickt zieht er die Strickleiter nach oben. „Zisch ab, Nachtwolke“, schimpft er. „Wenn du dich ständig vor mich schiebst, kann ich meine Leiter nicht sehen. Die Stricknadeln kannst du mitnehmen. Tausendmal habe ich dir das schon gesagt.“ Die Nachtwolke zieht sich langsam zurück. Die Stricknadeln nimmt sie mit.

„Und nun zu euch“, wendet sich der Mond zornig an uns. „Was macht ihr hier? Was wollt ihr hier? Ach, diese Kälte hier oben ist wirklich kaum auszuhalten. “ Er nießt laut. Ein kurzer heftiger Wind kommt auf, der die Lola mit einem Schwung zu den anderen Schäfchenwolken fegt. Glücklich zieht sie mit ihnen von dannen. „Bis nächsten Mittwoch“, rufe ich meinem Lieblingsschaf hinterher.

„Das überlege ich mir noch“, schimpft der Mond weiter. „Habe ich euch auch nur mit einem Wort aufgefordert hier hochzuklettern? Was mache ich jetzt mit euch die ganze Nacht? Morgen früh geht’s ruckzuck wieder runter auf die Erde und zwar so früh, dass eure Eltern nichts davon merken, dass ihr mal eben kurz oben auf dem Mond ward. Hatschi! Nachtwolke, Taschentuch her aber dalli.“ Schüchtern nähert sich die Nachtwolke und schiebt sich zur Hälfte vor ihn. „Jetzt sieht er auf der Erde bestimmt wieder aus wie ein halbes Zitronenbonbon“, denke ich. Der Mond schnäuzt kräftig in sein Taschentuch. Es donnert gewaltig. Er schiebt die Nachtwolke zur Seite und ist nun wieder rund und schön zu sehen.

Auf einmal müssen Milan und ich weinen. Der Mond ist so streng. Mama und Papa sind weit weg. Ganz unten auf der Erde sind sie. Und wir sind so traurig, weil Oma Schneeflocke nicht mehr da ist. Der Mond hört auf zu schimpfen und macht ein erstauntes Gesicht. „Was ist denn los?“, wundert er sich. Da erzählen wir ihm alles von Milans Oma, dass sie für immer eingeschlafen ist und dass wir mit Lola hier hochgeklettert sind, um sie hier im Himmel zu suchen, weil wir glauben, dass sie sich versteckt hat, weil wir doch immer mit ihr Verstecken gespielt haben und ob der Mond sie vielleicht irgendwo gesehen hat oder ob er weiß, wo sie sein könnte. Vielleicht hinter einer Wolke? Oder auf einem der vielen Sterne? Gibt es auf einem der Sterne auch Bäume? Eine dicke große Eiche womöglich, hinter der Oma Schneeflocke sich verbirgt? Oder weiß die Sonne etwas? Der Mond muss es doch wissen. Schließlich wohnt er schon so lange hier oben.

Auf einmal sieht der Mond ganz zerfurcht aus, weil er sein rundes gelbes Mondgesicht in tausend Falten legt, so gründlich denkt er nach. „Nein“, meint er schließlich. Seine Stimme klingt jetzt viel freundlicher. „Ich habe eure Oma Schneeflocke nicht gesehen. Aber es gibt auf einem der Sterne eine große dicke Eiche. Das weiß ich. Ich weiß aber nicht auf welchem Stern. Den müsst ihr suchen. In einer Nacht könnt ihr das nicht schaffen, denn morgen müsst ihr doch ganz früh wieder zurück zu euren Eltern, noch ehe die Sonne aufgeht. Am besten nehmt ihr die Wolkenlokomotive. Damit seid ihr schneller. Da hinten kommt sie schon angebraust. Wartet, ich leuchte euch den Weg mit meinen Mondstrahlen.“ „Ich sehe sie“, schreit Milan begeistert. „Ich sehe die Wolkenlokomotive!“

Die Wolkenlokomotive besteht aus ganz vielen kleinen Wolken. Duftig und leicht kommt sie herangeschwebt. Dicht vor uns hält sie an. Wir dürfen einsteigen. Wir gehen einfach durch die Wolkentüren hindurch. Dann sind wir drin und setzen uns auf leichte schwebende Wolkensessel. „Gute Fahrt und viel Erfolg“, ruft der Mond. Er winkt uns mit seinem riesigen Taschentuch hinterher. „Sobald der Tag anbricht, seid ihr wieder hier. Dann geht’s an der Strickleiter wieder hinunter auf die Erde aber so, dass keiner da unten was mitkriegt“, hören wir ihn noch brüllen. Wir winken zurück. Die Lokomotive schwebt mit uns davon. Der Mond wird kleiner und kleiner. In weiter Ferne sehen wir Lola mit den anderen Wolkenschafen herumspringen. Milan und ich haben uns ganz eng zusammen gesetzt. Auf einmal hören wir hinter der Wolkenlokomotive ein zartes Blöken. So blökt nur die Lola. Wir gucken aus dem Wolkenfenster. Tatsächlich. Es ist mein Schaf. Es hat sich von den anderen Schafen gelöst, um uns zu begleiten. Ganz schnell rennt sie hinter der Lokomotive her. „Anhalten!“, rufen Milan und ich. Brav hält die Lokomotive an. Wie einfach manches hier oben im Himmel ist, denke ich. Wir ziehen Lola zu uns in die Lokomotive hinein. Nun sitzt sie zwischen Milan und mir. Ganz eng sitzen wir drei zusammen. Wie sind wir froh, dass Lola bei uns ist. Ganz von alleine fährt die Lokomotive weiter. Wir wünschen uns so sehr, dass wir Oma Schneeflocke finden!

  1. Kapitel

Zischend fährt die Wolkenlokomotive über den Himmel. Weißer kringeliger Dampf kommt aus ihrem luftigen Schornstein. Wie gut, dass die Mondstrahlen über den ganzen Himmel reichen, die der Mond uns hinterher schickt. Es ist ja Nacht und eigentlich ziemlich dunkel. Tausend Sterne leuchten um uns herum in der Dunkelheit. Es glitzert und funkelt. Wunderschön sieht das aus. Wir staunen, als wir das alles sehen. Dabei essen wir hellbraune knusprige Kekse, die uns der Mond eingepackt hat. Er kann nämlich nicht nur stricken, sondern auch backen. „Das braucht aber keiner zu wissen“, hat er geknurrt. Dabei hat er die Kekse in silbriges Papier eingewickelt. Dann hat er uns noch eine große Kanne mit heißem Kakao mitgegeben. Den trinken wir jetzt. Lola isst und trinkt mit uns. Sie mag Kekse und Kakao.

Auf einmal hält unsere Wolkenlokomotive dicht neben einem Stern an. Neugierig steigen wir aus. Ein kleines Treppchen ist an den Stern angelehnt. Wir gehen das Treppchen hoch. Schon sind wir auf dem Stern. Wieso hat die Lokomotive ausgerechnet hier angehalten?, überlegen wir. Hat der Mond ihr befohlen, dass sie hier halten soll? Wir laufen ein wenig auf dem Stern herum. Er ist nicht sehr groß. Bei jedem Schritt, den wir machen, leuchtet es golden unter unseren Füßen auf auch bei Lola. Sie findet das lustig. „Mäh“, macht sie fröhlich. Ausgelassen springt sie herum. Wir gucken hinunter. Wie viele Sterne um uns herum sind. Über uns leuchten sie, unter uns, neben uns, überall. Ein Meer von Sternen. Die Erde können wir von hier aus nicht mehr sehen. Ganz, ganz weit weg können wir den Mond ein bisschen erkennen. Sein Mondlicht erreicht uns immer noch. Die Lokomotive steht geduldig da und wartet auf uns. Das beruhigt uns.

„Meinst du, Oma Schneeflocke hat sich hier versteckt?“, flüstere ich leise dem Milan ins Ohr. Ich traue mich nicht laut zu sprechen. Alles ist so groß und still. „Ich weiß es nicht“, flüstert Milan ebenso leise zurück. Etwas ratlos laufen wir auf dem kleinen runden Stern herum. Da wo wir losgelaufen sind, kommen wir in ein paar Minuten schon wieder an. Das ist lustig. Immer schneller rennen wir um den Stern herum. Wir müssen lachen, weil wir sofort immer wieder an derselben Stelle landen. Lola springt und hüpft mit. Das Gold unter ihren Pfötchen sprüht auf. Ganz hell wird es. Da sehen wir eine große alte Eiche mitten auf dem Stern stehen. Die hatten wir bisher gar nicht bemerkt. Sie sieht genauso aus wie die Eiche auf der Erde zu Hause bei Milan im Garten. Wir können es kaum glauben. Sie sieht wirklich so aus wie die Eiche, hinter der sich Oma Schneeflocke immer versteckt hat. „Bestimmt ist Oma Schneeflocke hier. Bestimmt hat sie sich hinter dem Eichenbaum versteckt“, jubeln wir.

„Oma Schneeflocke, Oma Schneeflocke“, rufen Milan und ich wie aus einem Mund. Vorsichtig und langsam gehen wir dicht an die Eiche heran. Und ganz vorsichtig gucken wir dahinter. Gleich werden wir das liebe Omagesicht mit den lustigen Augen und den weißen Kringellöckchen sehen und ihr fröhliches warmes Lachen hören, freuen wir uns. Aber hinter der Eiche ist sie nicht. Jetzt erst entdecken wir, dass der uralte Eichenbaum in der Mitte gespalten ist. Und auf dem Baum hockt etwas. Es ist ein großer schwarzer Vogel. Der sitzt so still da, dass wir ihn bis jetzt nicht bemerkt haben. Das ist anders als zu Hause.

Ängstlich gehen Milan und ich durch den Spalt hindurch. Jetzt sind wir mitten in der Eiche drin. Es ist ein großer düsterer Raum, in dem wir uns befinden. Ein Raum aus lauter knarrendem alten Holz grau und verwittert. Wie still es hier drin ist. Still und unheimlich. Über uns hören wir den großen Vogel mit den Flügeln schlagen. In immer gleichen regelmäßigen Abständen. Es hört sich traurig an. Wir sehen hier in dem alten gespaltenen Baum keine Sterne, kein Mondlicht. Wir sehen nur Dunkelheit. „Oma Schneeflocke?“, rufen Milan und ich flehentlich. Wenn sie doch da wäre! Doch sie antwortet nicht. Sie ist nicht da. Wir haben sie nicht gefunden. Wir wissen nicht, wo sie sich versteckt hält. Wir sind ganz allein hier im Dunkeln. Da müssen wir weinen. Hinter uns huscht Lola entlang. Wir spüren ihr feuchtes Schnäuzchen an unseren Händen. Das tröstet uns etwas.

Wir wollen schnell weg hier. Lola läuft vor uns her. So finden wir schnell wieder heraus aus dem Baum. Draußen auf dem Stern ist es gleich wieder heller vom Mondlicht, das bis hierher leuchtet. Auch sehen wir wieder die vielen Sterne um uns rum. Und wir sehen unsere Wolkenlokomotive, die die ganze Zeit geduldig auf uns gewartet hat. Wir springen zusammen mit Lola hinein. Langsam fährt die Lokomotive los. Jetzt sind wir in Sicherheit. Scheu blicken wir zurück zu dem Stern. Ernst und schweigend steht die alte Eiche da. Wir sehen, wie der große schwarze Vogel seine Flügel weit ausbreitet und stumm in der Ferne verschwindet. „Los, fahr dem Mond hinterher. Ganz dahinten ist er. Wir wollen zurück zum Mond“, rufen wir unserer treuen Wolkenlokomotive zu. Geschickt dreht sie eine elegante Kurve und braust direkt auf den Mond zu. Langsam wird er größer und größer. Und dann sind wir endlich wieder bei ihm.

  1. Kapitel

„Na, das wurde aber höchste Zeit“, knurrt der Mond. Eine dicke Brille trägt er auf der Nase. „Die Augen“, seufzt er. „Man wird nicht jünger“, fügt er noch hinzu. Seine brummige Stimme geht etwas im Geklapper der Stricknadeln unter. „Ich stricke die Leiter etwas länger, damit ihr auch gut und sicher unten auf der Erde ankommt“, erklärt er. „Nachtwolke los, schieb dich gefälligst wieder vor mich, damit mich keiner stricken sieht. Die Menschen regen sich ja schon auf, wenn ich zwischendurch mal rot bin. Wenn sie mich auch noch stricken sehen, drehen sie völlig durch. Abgesehen davon ist es mir peinlich. Jetzt ist es zu dunkel hier, Nachtwolke. Rück gefälligst ein bisschen zur Seite. Ein Viertelchen kann man ruhig von mir sehen.“ Er hustet. „Kalt ist es hier“, schimpft er. Forschend blickt er uns über seine Brillengläser hinweg an. „Habt ihr gefunden, was ihr gesucht habt?“, fragt er. Geschickt fängt er eine Masche auf, die ihm beim Stricken hinuntergefallen war. Die Nachtwolke ist brav ein bisschen zur Seite gerückt. Geduldig wartet sie auf weitere Befehle.

Wir erzählen dem Mond die ganze Geschichte. Aufmerksam hört er zu. Lola setzt sich auf ihn drauf. Sie schläft ein. Ihr Köpfchen steckt sie zwischen die beiden Vorderpfoten. Der Mond macht sich noch ein bisschen weicher und runder, damit es mein kleines Wolkenschaf bequem hat. „Oma Schneeflocke haben wir nicht gefunden“, erklären wir ihm traurig am Ende unserer Erzählung. Er legt seine Stirn in nachdenkliche Falten, erwidert aber nichts. Eine Zeitlang hören wir nur das Rauschen des Nachtwindes, der über den Himmel fegt und das Klappern der Stricknadeln. „Wo kann denn nur Milans Oma sein?“, fragen wir ihn drängend. „Ich weiß es nicht“, antwortet der Mond. „Wir werden diese Frage heute Nacht nicht klären.“ Er legt die Stricknadeln zur Seite. „Fertig“, stellt er zufrieden fest. „Nachtwolke, schieb ab“, donnert er. Gehorsam schiebt sie sich weg von ihm. Die Stricknadeln nimmt sie wieder mit.

Geschwind lässt der Mond die Strickleiter hinunter auf die Erde. Sie ist jetzt noch hübscher als vorher. In den buntesten Farben leuchtet sie. „Los ab mit euch beiden“, befiehlt er streng. „Seht zu, dass ihr im Bett liegt, wenn ihr geweckt werdet. Nicht auszudenken, wenn ihr dann nicht da seid.“ „Darf Lola ausnahmsweise mit uns mitkommen, obwohl heute nicht Mittwoch ist?“, frage ich schüchtern. „Nichts da“, raunzt der Mond und schnäuzt sich die Nase. „Ein Taschentuch aber dalli“, brüllt er. „Diese Kälte ist nicht zum Aushalten.“ Vor lauter Schreck über das Gebrüll reicht ihm die Nachtwolke eine Stricknadel. „Ist das ein Taschentuch?“, brüllt der Mond weiter. Für einen kurzen Moment wird er ganz rot. Jetzt werden die Menschen auf der Erde staunen, wenn sie ihn so sehen, denke ich. Die Nachtwolke reicht ihm das Taschentuch und zieht die Stricknadel wieder in sich rein. „Danke“, murrt der Mond. Daraufhin macht die Nachtwolke erleichtert ein Nickerchen. „Lola bleibt hier“, sagt der Mond ernst. „Sie soll sich hier bei mir erstmal richtig ausschlafen. Schließlich war es ganz schön anstrengend für so ein kleines Schaf heute Nacht. Sie klettert wie versprochen jeden Mittwochmorgen an der Strickleiter zu dir und Milan auf die Erde hinunter, Pia. Nachts Punkt zwölf Uhr klettert sie wieder hier hinauf zu den anderen Wolkenschäfchen. Allein versteht sich. Das mit euch heute Nacht war eine Ausnahme. So und nun ab mit euch.“ Der Mond räuspert sich. Ganz kurz wischt er sich mal über die Augen hinter seiner Mondbrille.

Milan und ich steigen auf die bunte Strickleiter. Langsam klettern wir hinunter. Wir sehen, wie die Erde allmählich immer näher kommt, immer größer wird. Zwischendurch gucken wir beim Hinunterklettern nach oben zum Mond. Gelb und rund steht er am Himmel. Wieder leuchtet er uns mit seinem Mondlicht den Weg. Bald werden wir zu Hause sein. Lola liegt oben auf ihm drauf das Köpfchen zwischen den Pfötchen. Wie ruhig sie schläft.

Schließlich landen wir tatsächlich pünktlich in der Früh auf der untersten Sprosse der Leiter. Sie pendelt genau vor meinem Bett hin und her. Schnell huschen wir hinein und machen die Augen zu. Wir hören das sanfte Rauschen der Strickleiter, die nun wieder hochgezogen wird. Wir schlafen ein.

Behutsam dringen die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken. Es wird Tag. Wir werden von Mama und Papa geweckt, die nichts von allem gemerkt haben. Die ganze Woche lang, die nun folgt, sind Milan und ich sehr traurig, weil wir Oma Schneeflocke nicht gefunden haben. Wie immer spielen wir zusammen mit den anderen Kindern im Kindergarten. Nachmittags gehen Milan und ich auf den Spielplatz. Wir essen wie immer. Wir schlafen wie immer. Milan schläft wieder bei sich zu Hause. Eigentlich ist alles wie immer. Aber Oma Schneeflocke ist nicht da. Und das ist nicht wie immer. Manchmal muss ich weinen, wenn ich in meinem Bett liege. Ich weiß, dass Milan jetzt bestimmt in seinem Bett ebenfalls weint, weil seine Oma nicht mehr da ist.

Einmal kann ich gar nicht einschlafen. Es ist tiefe Nacht. Ich gucke hinauf in den Himmel. Der Mond ist nur zur Hälfte zu sehen. Wahrscheinlich hat sich die Nachtwolke wieder ein bisschen vor ihn geschoben, denke ich. Endlich schlafe ich ein.

Als ich am nächsten Tag in der Früh aufwache, fällt mir ein, dass die Woche rum ist und dass morgen Lola zu mir kommt. Denn morgen ist Mittwoch. Ein ganz kleines bisschen bekomme ich ein warmes glückliches Gefühl in meinem Bauch. Ich springe aus dem Bett und renne im Schlafanzug hinaus in den Garten. Die Sonne scheint. Der Himmel ist blau. „Hallo Pia“, höre ich jemanden rufen. Das ist Milan. Er rennt die Straße hinunter direkt zu mir in den Garten hinein. „Du bist aber auch ganz schön früh wach“, wundere ich mich. „Ich konnte nicht mehr schlafen. Morgen kommt doch Lola. Ich freu mich so“, antwortet Milan. Er springt im Garten herum. „Ja. Morgen ist Mittwoch“, rufe ich. Ich fange auch an herumzuspringen. Wir kullern durch das Gras. „Es schneit!“, schreit Milan plötzlich. Ich gucke nach oben. Tatsächlich es schneit! Dicke Schneeflocken fallen vom blitzeblauen Himmel herab. Mitten im Sommer schneit es. Milan und ich sehen zum Himmel hinauf. Die Schneeflocken fallen auf unsere Gesichter und berühren sie sacht. „Eine Schneeflocke ist eben genau auf meiner Nase gelandet“, ruft Milan auf einmal. Ausgelassen springt er herum. „Bei mir ist eben auch eine Schneeflocke auf meiner Nase gelandet“, rufe ich zurück. Ich muss lachen, weil es ganz kurz auf meiner Nase gekitzelt hat.

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