Kindergeschichten

Manni, der Maulwurf und Nele, die Garnele

Nele war eine hübsche, kleine Garnele. Sie lebte abgeschirmt in einer Glaskugel, die zur Hälfte mit Wasser gefüllt war. Dort planschte sie herum. Mit den klitzekleinen Füßchen raste sie durch das Wasser, versteckte sich zwischen den Wasserbäumchen, tauchte hinunter zu den winzigen Kieselsteinen, zu den Muscheln und knabberte von den Algen, wenn sie Hunger hatte. Kein Laut drang zu Nele, kein Windhauch berührte sie, denn die Glaskugel war rundherum verschlossen, damit Nele nicht entwischen konnte. Die Glaskugel stand auf einem Regal bei wohlhabenden Leuten, die es gut mit ihr meinten. Jedermann konnte die quirlige, kleine Garnele betrachten, doch keiner konnte sie anfassen. Sie hatte genug zu essen, genug zu trinken, auch genug Luft zum atmen. Aber sie war allein. Die Kinder der wohlhabenden Leute lachten, wenn sie ihren Zeigefinger an das Glas drückten und das Garnelchen so putzig darauf zu schwamm. Lustig sah das aus, dabei war Nele oft traurig, aber niemand bemerkte es.

Eines Nachts, es war eine stille Mondnacht, schlich die Katze der wohlhabenden Leute durch die sanft vom Mondlicht erleuchtete Wohnung. Sie strich auch durch das Zimmer, in dem die Glaskugel stand und starrte hungrig auf das munter herumschwimmende Garnelchen. Dann sprang sie mit einem Satz hoch auf das Regal, das schwankte bedenklich, die Glaskugel schwankte mit, fiel schließlich herunter und rollte durch das Zimmer. Zum Glück blieb sie heile, rollte immer schneller, heraus aus dem Zimmer, auf den Flur, dann zur Treppe. Die Katze hinterher, aber nicht mehr lange, denn der Hund der wohlhabenden Leute tauchte plötzlich auf. Die Katze kreischte, der Hund knurrte. Die Katze floh, der Hund bellte. Die Katze verschwand im Katzenkloo, der Hund guckte dumm in der Gegend herum.

Jedenfalls war Nele vorerst gerettet. Ihre Glaskugel rollte hüpfend die Treppe hinunter, Stufe für Stufe, dann aus der Haustür hinaus, weiter ging es die lautlose Straße entlang. Raus aus der Stadt. Schließlich landete sie auf einem großen Feld. Auf diesem Feld, oder besser gesagt darunter, hausten unzählige Maulwürfe. In jahrelanger Wühlarbeit war eine stattliche Maulwurfsstadt entstanden. Ein großer, brauner Maulwurfshügel stand neben dem anderen. Auf jedem lag noch ein wenig Schnee vom letzten Winter. Hübsch sah das aus. Die erdbraunen Hügel mit dem Schnee obendrauf. Wie Schokoladeneis mit Vanillesoße. Die Maulwürfe hatten sich gemütlich in ihre Hügel eingebuddelt. Zufrieden schnarchten sie vor sich hin.

Nur einer nicht. Das war der älteste unter den Maulwürfen. Der Manni. Er hatte das Sagen. Er bestimmte, wann gebuddelt wurde und wann nicht. Er bestimmte, wann es Zeit war, sich mit einer großen Portion Regenwürmer zu stärken und wann geschlafen wurde. Alle Maulwürfe bewunderten den Manni, weil er so klug und groß und stark war.

Manni konnte als einziger nicht schlafen. Allein lebte er in seiner komfortablen Maulwurfshügelwohnung. Seit seine Gattin von einem gefräßigen Marder verschlungen worden war, fühlte er sich sehr einsam. Es fehlte nicht an gutaussehenden Maulwurfsdamen, die Manni mit ihren runden, dunklen Augen anklimperten. Manni jedoch trauerte um seine Maulwurfsfrau, keine andere erreichte sein Herz. Tagsüber erfüllte er seine Pflicht, erteilte Befehle, erstellte Gutachten über die neu erbauten Maulwurfshügel, abends aber lag er trübsinnig vor dem wärmenden Ofen, den er sich aus winzigen Holzstückchen gezimmert hatte. Auch in dieser Nacht. Die eine oder andere dicke Träne tropfte aus seinen treuen Augen. Langsam versickerten sie in der Erde.

Nanu. Was war denn das? Es ging auf einmal so ein Ruck durch sein gemütliches Heim. Wie ein winziges Erdbeben fühlte sich das an. Irgendwas war an sein Häuschen geknallt. Manni rappelte sich hoch. Mit seinen Maulwurfsärmchen schaufelte er sich nach draußen. Verdutzt hielt er inne. Direkt vor dem Hauseingang lag eine Glaskugel, die mit Wasser gefüllt war. “ Ach, was solls „, dachte Manni gleichgültig. Schon wollte er wieder umdrehen. In diesem Moment gewahrte er eine kleine Bewegung im Wasserglas, so klein, dass es auch eine Täuschung hätte sein können. Da! Schon wieder! Langsam pirschte sich Manni heran. Angestrengt spähte er hinein. Verdammt! Er hatte seine Brille vergessen. In dem vorgerückten Alter, in dem er sich befand, brauchte er sie dringend. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als die Kugel mit zu sich ins Erdgeschoss hinunter zu nehmen, wenn er wissen wollte, wer oder was sich darinnen befand.

Vorsichtig stupste Manni die Glaskugel mit seinen Schaufelärmchen an. Behutsam rollte er sie vor sich her, bis sie unten angelangt waren. Manni gab ihr noch einen letzten, sanften Schubs. Sie kullerte noch ein bisschen. Schließlich landete sie in der Nähe des wärmenden Ofens. Manni kramte erstmal seine Brille hervor und setzte sie sich auf seine kleine, dicke Nase. Ganz nah kroch er an die Glaskugel heran. Erwartungsvoll schaute er hinein. Erst erblickte er nur das Wasserbäumchen mit den silbrigen Wasserblättern dran, die Algen, die Muscheln, die Kieselsteine. Nach einigem angestrengten Hinstarren bemerkte er jedoch ein graziles Etwas mit unzähligen winzigen Füßchen an dem schmalen, rötlichen Körperchen, die so flink und anmutig durch das Wasser plätscherten. Am Köpfchen hatte es zwei zarte Fühler. Zwei Äuglein hatte es auch. Mit denen sah es den Maulwurf an, der seinen großen Kopf an das Glas presste. “ Es ist tatsächlich eine Garnele „, stellte der kluge Maulwurf fest. Nele war ganz dicht an ihn herangeschwommen. Sie ruhte auf einer Alge und knabberte ein wenig daran. Die kleinen, munteren Äuglein sahen unverwandt in die großen, braunen Augen vom alten Maulwurf. Das Feuer knisterte leise im Maulwurfshügelofen. Nele schwamm eine Runde durchs sprudelnde Wasser, durchs Bäumchen hindurch, wirbelte einige Kieselsteine hoch, versteckte sich unter einer Muschel. Dann schwamm sie wieder an den Rand der Glaskugel, ganz nah heran an das Gesicht von Manni, der sie immer noch betrachtete. Er hatte so ein merkwürdiges Gefühl innendrin, so kribbelig, so warm. Das kannte er von früher, als er noch ein glücklicher Maulwurfsehemann war.“ Ich möchte so gern in die Glaskugel hinein „, dachte Manni. Aber das ging nicht. Das Glas hinderte ihn daran. Trotzdem war Manni nicht mehr allein. Nele auch nicht. Tagsüber verrichtete Manni wie immer oben im freien seine Arbeit. „Er ist jetzt viel fröhlicher „, tuschelten die anderen Maulwürfe untereinander. Abends schaufelte sich Manni zurück nach unten, wo Nele geduldig in ihrer Kugel auf ihn wartete. Dann presste er vorsichtig sein Gesicht an das Glas. Nele kam sofort herangeschwommen. Den ganzen Abend sahen sich die beiden an. Unverwandt.

Manni, der Maulwurf und seine Nele, die Garnele.

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