Kindergeschichten

Fritzi, die Staubmaus

Paulchen war ganz schön faul. Wenn Mama sagte, “ Paul, räum endlich Dein Zimmer auf. Mach es sauber, guck doch mal, wieviel Staub da rumliegt „, dann nörgelte der Paul: “ Och, Mönsch, Mama, ich hab keine Lust. Es ist so anstrengend. Außerdem schwächt zu viel Sauberkeit das Immunsystem.“ “ Bitte?“ Die Mama glaubte, sich verhört zu haben. Sie war gerade am Fensterputzen und schaute auf ihren Dreikäsehoch herab, der mit seinen sechs Jahren diese Weisheit von sich gab. Fast wäre sie von der Leiter gefallen, auf der sie stand. “ Seit wann redest Du denn so altklug daher?“, fragte Mama tadelnd. Paule zuckte die Achseln. “ Hat so einer im Fernsehen gesagt“, meinte er und trottete von dannen. Ab in sein Zimmer, wo er sich „in dem Saustall“, wie es Mama bezeichnete sauwohl fühlte.

Paulchen schnappte sich sein ferngesteuertes Auto und ließ es im Zimmer rumsausen. Kreuz und quer fuhr es herum, nach links, nach rechts, vorwärts, rückwärts, landete unterm Bett, wo es kurz aufkeuchte und dann stehenblieb, weil die Batterie alle war. Der faule Paul musste sich selbst unters Bett bequemen, um sein Auto wieder hevorzuholen.

Au weia, unter seinem Bett sah es wirklich nicht gut aus. Dicke, fette Staubkugeln rollten herum, grau und, na ja, eben staubig. “ Was solls „, dachte Paul unbekümmert. Er fing an, an seinem Auto herumzuschrauben, um es wieder heile zu machen.

„Oh, wie gemütlich ist es hier unten. Hier läßt es sich leben“, piepste plötzlich eine dünne, hohe Stimme. Danach war ein durchdringendes, kreischendes Kichern zu vernehmen. Was war denn das? Woher kam diese Stimme? Paulchen hatte einen gehörigen Schrecken bekommen. Aus der Deckenlampe kam das Stimmchen jedenfalls nicht, auch nicht aus dem Schrank, auch nicht aus seinem ausgefransten Teddybären. Paul hatte so eine unangenehme Ahnung. Vorsichtig näherte er sich dem Bett. Vorsichtig blickte er darunter. Tja, da rollten sie immer noch herum, die Staubkugeln. Weniger waren sie in der Zwischenzeit jedenfalls nicht geworden. Wie auch. Das Wort “ Staubsauger“, hatte Paul aus dem Mund jenes weisen Mannes aus dem Fernseher nicht vernommen. Ganz schön lebhaft ging es hier unten zu. Irgendwie tuschelte es doch, flüsterte, kicherte. Du lieber Himmel! Paul erschrak auf einmal fürchterlich. Da funkelten ihn doch tatsächlich unter seinem Kinderbett zwei Augen an. Ja, tatsächlich. In einer von den zahlreichen Staubkugeln steckten zwei Augen. Und zwar in der größten und dicksten. Wie zwei Knöpfe sahen die Äuglein aus. Kleine schwarze Knopfaugen. Eine Nase hatte das freche Ding auch noch. Die erinnerte einen an ein Mäuschen, so spitz, so winzig, so grau. Selbstverständlich hatte es auch ein Mäulchen mitten im lachenden Staubkugelgesicht. Das war nicht grau. Nein. Das war knallrot. Und laut. “ Ich bin Fritzi, die Staubmaus“, schallte es aus ihm heraus. Es gab einen Rums. Das war Paule. Der war nämlich vor Schreck umgefallen. Fritzi rollte blitzschnell unterm Bett hervor, hin zum Paulchen und kitzelte ihn am Ohr. “ Los, steh auf „, schnarrte er. “ Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Bist doch selbst schuld, dass es mich gibt. Ich erwache erst zum Leben, wenn mindestens ein halbes Jahr kein Staub gewischt worden ist. Jetzt bin ich auf der Welt. Das habe ich Dir zu verdanken. Du bist mein bester Freund.“

Paul richtete sich langsam auf. Er war zwar faul, aber nicht ängstlich. Nachdem er sich von seinem Schrecken erholt hatte, nahm er Fritzi in seine Hand und blickte mit seinen blauen Kinderaugen in die schwarzen Staubmäuschenaugen. “ Gut“, erwiderte er, “ Du bist jetzt mein bester Freund. Nur Mama darf nichts merken. Die wird sonst sauer.“ “ Klar wie Kloßbrühe“, erwiderte die Staubmaus und kitzelte Paul in der Nase. “ Hatschi“, nieste er laut. Die Tür wurde aufgerissen und, hastunichtgesehn, verschwand Fritzi unterm Bett. Die Mama stand in der Tür. “ Hoffentlich wirst Du nicht krank, so wie du geniest hast“, meinte sie besorgt. “ Komm jetzt essen. Und danach, husch, husch, ins Bett.“ Paul beeilte sich sehr mit dem Essen, um nur ja rasch in sein Zimmer zurückzukehren. Zu Fritzi. Den hatte er inzwischen ganz schön lieb.

Fritzi hatte schon auf ihn gewartet. Als Paul ins Zimmer zurückkam, rollte er wieder blitzschnell unterm Bett hervor. “ Hast Du was zu essen?“, fragte er mit seiner hohen, piepsigen Mäuschenstimme. “ Ich hab Hunger.“ Paul holte aus seiner Hosentasche ein großes Stück Löcherkäse hervor. “ Au klasse“, schrie Fritzi begeistert. Im Nu hatte er mit seinem kirschroten Maul den Käse verschlungen. Danach spielten beide mit dem ferngesteuerten Auto, das wieder heile war, erzählten sich gegenseitig Geschichten, und aßen Unmengen Süßigkeiten, die Paul in seinem Schrank versteckt hatte. Anschließend rollte Fritzi auf Paul herum, auf seinen Armen und Beinen, auf seinem Rücken, auf seinem Bauch, bis der vor Lachen fast keine Luft mehr bekam, denn es kitzelte fürchterlich. Dann gingen beide schlafen. Paulchen legte sich in sein Bett, das kugelige Staubmäuschen hüpfte ebenfalls hinein und kuschelte sich an Paulchens rechtes Ohr. Sie schliefen die ganze, lange Nacht hindurch. Zwischendurch wachte Paul mal kurz auf, weil es ihm im rechten Ohr kitzelte. “ Hatschi“, machte er leise. Ein unterdrücktes Kichern war zu hören. Dann herrschte wieder Ruhe.

Der nächste Morgen begann mit einem Riesenschrecken. “ Aufstehen!“, donnerte es laut. Mama stand in der Tür. In der Hand hielt sie einen riesengroßen Staubsauger. “ Du frühstückst. Ich sauge unterdessen, bis kein Staubkörnchen mehr zu sehen ist“, verkündete sie streng. “ Nein, Mama, nein“, rief Paul verzweifelt. “ Du darfst Fritzi nicht wehtun.“ “ Wer ist Fritzi?“, fragte Mama erstaunt. “ Fritzi ist eine Staubmaus, mein bester Freund.“ “ Soweit kommts noch. Jetzt freundet sich mein fauler Sohn auch noch mit seinem Staub an, statt ihn wegzuwischen“, rief die Mama fassungslos, stellte das Ungetüm von Staubsauger an und macht sich an die Arbeit. Mit gesenktem Kopf ging Paul in die Küche. Fritzi war schon längst wie vom Erdboden verschluckt.

Das war ein trauriger Tag. Nach dem Frühstücken ging Paul in die Schule, nach der Schule nach Hause zum Mittagessen, danach wurden Hausaufgaben gemacht, dann ging er raus zum Spielen, danach wieder nach Hause zum Abendessen. Die ganze Zeit dachte er an Fritzi mit dem lustigen Staubmausgesicht, an sein piepsiges Lachen, an seine hohe Mäuschenstimme, an sein freches Kitzeln. Nie mehr würde er ihn wiedersehen. Nie mehr. Da fing Paulchen an zu weinen. “ Was hast Du? Bist Du krank?“, fragte Mama voller Sorge. Paul antwortete nicht.“ Morgen bleibst Du am besten zu Hause“, entschied Mama. Schluchzend lief Paul in sein Zimmer. Verzweifelt guckte er unters Bett. Kein Staubkügelchen war mehr zu sehen. Alles war blitzeblank. “ Fritzi“, rief Paulchen leise. “ Fritzi!“

Nichts.

Da weinte er richtig laut, legte sich in sein Bett, knipste die Lampe aus, machte die Augen zu und schluchzte sich in den Schlaf. Es wurde ruhig. Paulchen schlief, der Mond stieg am Himmel empor und schaute freundlich durchs Fenster. Es war eine friedliche Nacht.

Autsch! Was war denn das? Etwas hatte Paulchen ins rechte Ohr gezwickt. Jetzt kitzelte ihn jemand wie verrückt, rollte auf ihm herum, über die Arme, die Beine, den Rücken rauf und runter, über den Bauch, husch, übers Gesicht, kitzelte ihn in der Nase. “ Hatschi!“, machte Paul. Da kicherte doch jemand ganz dicht an seinem Ohr mit einer hohen, piepsigen Mäuschenstimme. “ Fritzi“, rief Paul. Vorsichtig nahm er die freche Staubmaus in die Hand. Oh, wie war er glücklich! “ Wo warst du denn? Ich dachte, Mamas Staubsauger hätte Dich verschluckt“, fragte er erstaunt. “ Als Deine Mama kam, bin ich schnell aus dem Fenster entwischt, auf einen Sonnenstrahl geklettert und in den Himmel gehuscht. Als die Nacht hereinbrach, hat mich Väterchen Mond wieder mit hinunter auf die Erde genommen. Und jetzt bin ich bei Dir“, wisperte Fritzi. Das Staubmäuschen kuschelte sich an Paulchens rechtes Ohr. Sie lachten noch ein bisschen zusammen, flüsterten, erzählten sich Geschichten. Dann schliefen sie ein.

Der Paul und sein bester Freund Fritzi, die Staubmaus.

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