Kindergeschichten

Felix

Felix war eine Vogelscheuche,die auf einem Saatfeld stand,um die Vögel zu verscheuchen.Die Menschen hatten ihn dort hingestellt.Sie hatten ihn auch gebaut und das möglichst häßlich. Klar,er sollte ja die Vögel erschrecken,damit sie sich nicht über das Saatgut hermachten.Felix hatte zwei Arme aus Holzstöcken, zwei Beine aus Holzstöcken und sein Körper war eine abgebrochene Zaunlatte. Oben auf die Spitze der Zaunlatte hatte man einen großen Kürbis gesteckt. Das war der Kopf. Der Mund war eine alte Bananenschale,die Nase eine löchrige Mohrrübe und die Augen waren zwei rötlichbraune Kartoffeln.Über den Zaunlattenkörper hatte man einen alten Lumpenfetzen geworfen und auf den Kürbiskopf einen uralten grünen Hut mit einer sehr breiten Krempe gestülpt.

Fertig war das Vogelscheuchenmonster Felix und es verfehlte seine Wirkung nicht.

Die Vögel flohen in Scharen,sobald sie ihn nur aus der Ferne sahen. All ihren Vogelfreunden erzählten sie vom schrecklichen Ungeheuer Felix. So stand er da,der Felix. Stumm und starr. Die Armstümpfe ragten in die Luft. Er bewegte sich nicht und er war so allein,wie eine Vogelscheuche nur allein sein kann.

Nun haben ja gerade die,die so gar nicht geliebt werden,einen besonderen Schutzengel. Felix hatte Glück. Denn sein Schutzengel war Frida,der Engel mit den zerzausten Haaren,der für besonders schwere Fälle zuständig war. Wie zum Beispiel für häßliche Vogelscheuchen,die eigentlich gar keine sein wollten.

Ja,Ihr habt richtig gehört: Felix wollte keine Vogelscheuche sein. Er wollte die Vögel nicht erschrecken,auch kein anderes Tier,denn er liebte in Wahrheit die Tiere und besonders die Vögel. Die Menschen hatten ihn so gemacht,wie sie ihn haben wollten,ihn aufs Feld gestellt und dann allein gelassen.

Frida kannte die Seele von Felix. Sie kannte seine Gedanken und Träume. Eines Nachts,es mußte ja unbemerkt geschehen,flog sie auf die Erde,in direktem Flug auf das Feld zur traurigen Vogelscheuche. Sie flog an ihm vorbei und berührte dabei sacht seine Kartoffelaugen und seinen Bananenschalenmund mit ihren zerzausten Haaren. Dann verschwand sie in der Nacht.Denn mehr durfte sie nicht für ihn tun.

Von da an konnte Felix sehen und sprechen. Er konnte die Tiere des Waldes sehen und in der Ferne die Vögel,die ihn angstvoll mieden und die er doch so liebte.

Das Schicksal wollte es,dass unter den vielen Vögeln einer war,der auch allein war und den die anderen auch nicht so besonders mochten: Das war die Nachtigall Maria. Sie war nicht ganz unschuldig an ihrer Unbeliebtheit,weil sie nämlich ganz schön eingebildet war,die Gute. In ihrer Jugend war sie im heimischen Wald mal eine gefeierte Nachtigallendiva gewesen,die bei den regelmäßig stattfindenden und stets ausverkauften Waldkonzerten sämtliche Tiere zu Beifallsstürmen hinriß mit ihrer zugegebenermaßen atemberaubenden Stimme.

Der dicke,reiche Uhu August heiratete sie prompt und bescherte ihr ein Leben in Saus und Braus. Aber eines Tages verschluckte sich Uhu August an einer besonders üppig geratenen Waldmaus und verstarb. Sein Vermögen war schnell von Maria aufgebraucht. Nun mußte sich die inzwischen in die Jahre gekommene Nachtigall,deren Stimme allmählich brüchig wurde,mit Gesangsstunden über Wasser halten. Sie unterrichtete sämtliche Nachtigallen des Waldes und brachte wirklich hervorragende Sängerinnen heraus. Sie lehrte sie auch nur im Mai zu singen,um sich und ihre Kunst nicht unnötig zu verschleudern.

Leider hatte sich Maria aber von ihrem großen Ruhm nie ganz erholt. Dauernd erzählte sie wie toll sie sei. Dass sie sogar Maria Callas unterrichtet hätte……Das war den anderen Tieren denn doch zu viel und sie bewegten sich fortan in großem Abstand zur Nachtigall,die nun auch ganz einsam war. Wie die unglückliche Vogelscheuche Felix.

Eines Nachts flog Maria los,weil sie es auf ihrem Baum so ganz allein nicht mehr aushielt. Sie flog und flog und landete schließlich erschöpft auf einem Ast oder vielmehr auf etwas,das sie für einen Ast hielt,denn Nachtigall Maria litt zunehmend an Alterssichtigkeit,sprich,ihre Augen ließen nach,was sie aber eitel verheimlichte.

Ihr habt euch sicher längst gedacht,dass dieser Ast ein Armstumpf von Felix war und so war es auch. Felix hielt vor ungläubigem Staunen die Luft an und beugte sich zur Nachtigall herunter, das erste Lebewesen,das sich seit Jahren in seiner unmittelbaren Nähe befand. Maria sah dicht über sich zwei glühende Kartoffelaugen,die sie anstarrten. “ Felix,die Vogelscheuche!“,kreischte sie und wollte wegfliegen. Allein,es fehlte ihr die Kraft,denn sie war am Ende ihres Lebens angelangt. So blieb ihr nichts anderes übrig,als hilflos in die Kartoffelaugen der häßlichen Vogelscheuche zu blicken.

Lange. Sehr lange.

Die Augen von Felix strahlten und funkelten. Noch nie in ihrem Leben hatte Maria so wunderschöne lächelnde,gütige Augen gesehen. Vor allem hatte sie noch nie in ihrem Leben jemand so angesehen wie Felix. Niemand. Geschweige denn der dicke Uhu August,der so gefräßig gewesen war und immer nur an fette Waldmäuse gedacht hatte.

Langsam und zaghaft begann Maria die Vogelscheuche anzulächeln und Felix lächelte zurück. Dann fingen sie an zu reden und zu reden. Sie redeten die ganze Nacht hindurch und erzählten sich ihr Leben. Sie empfanden etwas,was sie noch nie empfunden hatten.

Glück.

Eine alte Vogelscheuche und eine alte Nachtigall. Beide am Ende ihres Lebens angelangt. Schließlich wurde Maria müde und bat Felix,sich in seiner breiten grünen Hutkrempe ausruhen zu dürfen. Felix sagte hocherfreut ja. Maria flog in seinen Hut hinauf,kuschelte sich hinein und machte es sich dort gemütlich. Was für eine wunderbare Geborgenheit.

Maria schlief ein. Sie schlief sehr tief. Felix sah nach oben: “ Ich beschütze Dich“, murmelte er. “ Ich beschütze Dich für immer.“ Er senkte leicht den Kopf und schloß die Augen.

Er schläft.

Stört ihn nicht.

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