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Der Hausmeister

Kennen Sie das auch, liebe Leserinnen und Leser, die Freude, wenn Sie umgezogen sind und nach einiger Zeit feststellen, daß Ihr Haus, in dem Sie für den Rest Ihres Lebens wohnen werden, einen Hausmeister hat? So ein Hausmeister ist doch ein richtiger Engel. Er weiß alles, kann alles.
Ich durfte diese Freude erleben. Frisch eingezogen, klingelte es an meiner Wohnungstür. Da es schon spät am Abend war, machte ich die Tür nicht auf. Daraufhin wummerte es heftig an dieselbe. Nach einigem Zögern öffnete ich nun doch. Draußen stand ein Mann im lässigen Arbeitsoverall. „Ist bei Ihnen alles in Ordnung?“, fragte er sorgenvoll. „Ich bin Walter, der Hausmeister, und habe Licht bei Ihnen gesehen“, fügte er bekümmert hinzu. „Es ist nicht ungewöhnlich, wenn man bei Dunkelheit Licht brennen hat“, beruhigte ich ihn mit all meiner langjährigen Lebenserfahrung.
Walter, der Hausmeister, begann einen zögerlichen Rückzug. „Schönen Abend noch“, rief ich ihm nach. Diese Freundlichkeit war vielleicht ein unbesonnener Fehler. Hausmeister Walter wandte sich um. „Morgen nachmittag komme ich vorbei und bringe eine Kette an Ihrer Regenrinne auf dem Balkon an“, versprach er. „Dann kann der Regen besser daran herunter auf die Erde laufen. Unten steht ein Eimer, der fängt ihn auf“, fügte er erklärend hinzu. Er freute sich sichtlich auf dieses Unternehmen.
Am nächsten Nachmittag war er pünktlich zur Stelle. Zunächst freundete er sich mit meiner Katze an. Dann begann er zu arbeiten. Es schien schwieriger als gedacht der Regenrinne die Kette anzulegen. Langsam begann es zu dämmern. Allmählich brach die Nacht herein. Ich begann zu gähnen. Meine Katze gähnte auch. Walter sah auf die Uhr in meinem Wohnzimmer. „Morgen komme ich wieder und beende meine Arbeit“, entschied er. „Morgen bekomme ich Besuch von meiner besten Freundin“, protestierte ich schwach. „ Das stört mich nicht“, beruhigte mich Walter.
Wieder stand er pünktlich am nächsten Nachmittag vor meiner Wohnungstür. Zielbewußt ging er auf den Balkon. Den Weg kannte er inzwischen. Meine Katze begrüßte ihn und fing mit dem Mäulchen geschickt das Leckerli auf, welches ihr Walter mitgebracht hatte. Dann machte er sich erneut ans Werk. Die Kette klirrte leise. Langsam schwebte sie an der Regenrinne herunter Richtung Eimer, der erwartungsvoll unten stand.
Meine beste Freundin kam. „Wer ist der Mann auf dem Balkon?“, fragte sie erstaunt. „Das ist der Hausmeister“, erklärte ich seufzend. „Du Arme!“ Meine Freundin nahm mich tröstend in die Arme. „Ich habe auch einen“, erklärte sie. Stumm sahen wir uns an.
Bald duftete es in meiner Wohnung nach Kaffee. Ich stellte meinen selbstgebackenen Nußkuchen auf den Tisch. Er war noch warm. Gemütlich tranken wir Kaffee. „Dein Kuchen ist köstlich“, lobte mich meine Freundin. „Das ist schön, daß er dir schmeckt“, freute ich mich. „Möchtest du noch ein Stück?“, fragte ich. „Sehr gerne“, antwortete sie. „Ich hätte auch gerne noch ein Stück von Ihrem köstlichen Kuchen“, sagte Walter bescheiden, der mit am Tisch saß. „Wie geht’s der Kette?“, erkundigte ich mich höflich. „Danke gut“, antwortete Walter. „Sie muß sich noch einpendeln.“ Er verschluckte sich leicht an einem Kuchenkrümel und hustete etwas. „Vielleicht sollten Sie sich ein wenig in Ihrer Wohnung zur Ruhe begeben“, schlug ich vorsichtig vor. Hausmeister sind sensible Wesen. Man muß vorsichtig sein mit dem, was man sagt. „Nicht nötig“, antwortete Walter und nahm sich noch ein Stück Kuchen. Draußen klirrte es etwas heftiger. Das Ende der Kette hatte den Eimer erreicht. „Nun ist Ihre Arbeit vollendet“, stellte ich erfreut fest und trug den leeren Kuchenteller in die Küche. „Nicht ganz“, widersprach Walter. „Ich muß noch die Regenrinne säubern. Alles muß bereit sein, wenn der erste Regen fällt.“
Meine Freundin wurde müde und machte sich auf den Heimweg. Der Hausmeister blieb. Spät in der Nacht verabschiedete er sich, nachdem wir zusammen die Tagesthemen, hart aber fair und Plusminus gesehen hatten. Zwischendurch ging er immer wieder auf den Balkon, sah nach der Kette und prüfte, ob es regnete.
Inzwischen ist er ständiger Gast in meiner Wohnung, ob ich will oder nicht. Irgendwie hat er rausgekriegt, wann ich Geburtstag habe, obwohl er nicht bei Facebook ist. Pünktlich stand er eines Nachmittags vor meiner Tür und gratulierte mir. „Du hast aber viele Gäste“, staunte er. Inzwischen duzt er mich. „Es stört mich aber nicht, daß so viele da sind“, meinte er großzügig und trat ein. Er war der letzte, der spät am Abend ging. Seufzend schloß ich die Tür hinter ihm. Meine Katze schnurrte erleichtert.
„Das Internet ist böse“, meinte Walter einmal sonntags beim Mittagessen. Ich hatte Knödel mit Rotkraut und Fleischklöschen zubereitet. „Das Fernsehen ist auch böse“, fügte er hinzu. „Ich gucke kein Internet und kein Fernsehen“, meinte er kauend. „Lieber besuche ich meine Freunde“, erklärte er sich noch. Walter nahm ein Schluck Rotwein zu sich.
Viele Jahre sind inzwischen ins Land gegangen. Noch immer kommt Walter und sieht nach der Kette, die schon ziemlich rostig ist. Egal ob es Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt oder Pfingsten ist. Walter sitzt immer mit am Tisch. Ist er doch einmal verhindert, was so gut wie nie vorkommt, fragen alle:

„Wo ist Walter?“

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