Das verliebte Glühwürmchen
Lux, so hieß unser Glühwürmchen, lebte mit seiner Familie, also Mama, Papa und zwei kleinen Brüdern, inmitten einer großen Wiese, tief versteckt unter langen, grünen Grashalmen, die sich im Wind über ihnen hin und her bogen und sie beschützten.
Lux war der älteste der drei Glühwurmkinder. Eines Tages nahm ihn die Mama zur Seite. „ Du bist jetzt groß genug, Lux “, sagte sie. „ Es wird Zeit, dass Du Dir Deine eigenen Grashalme suchst und selbst eine Familie gründest. Wir können Dich nicht mehr mit durchfüttern.“ „ Och, Mama “,stöhnte Lux, „die paar Flöhe.“ Dabei knipste er an seinem Glühbirnchen rum, das vorn an seiner Stirn mit einem Wassertropfen befestigt war. Mal war es an, mal wieder aus. Mal sah man Lux, mal wieder nicht. Frech lief er zwischen den Grashalmen lang, kitzelte und neckte sie. „ Siehst Du“, rief Mama Glühwurm zornig. „ Das meine ich. Dir fehlt es am nötigen Ernst, mein Sohn. Den brauchst Du zum Erwachsenwerden. Mach sofort Dein Licht wieder an, wenn ich mit Dir spreche, und komm her.“ Verdrossen trottete Lux zu ihr hin. „ Wenn ich eine Familie gründen will, muss ich mich doch erst verlieben“, maulte er. „ Aber das kann ich nicht. Alle Glühwurm-Mädchen sind wie kleine Schatten, sie leuchten überhaupt nicht. Wie soll ich mich da verlieben?“ Die Mama nahm Lux an die Hand. „Komm mit“, sagte sie geheimnisvoll.
Sie gingen einen weiten Weg zusammen, den Lux gar nicht kannte. Schließlich erreichten sie einen dichten, grünbelaubten Busch. „ Hier ist Dein neues Zuhause“, erklärte die Glühwurm-Mama dem Lüxlein. „ Such Dir das bequemste Blatt aus, setzt Dich drauf, mach es Dir gemütlich und warte, bis es dunkel wird. Dann knipst Du Dein Birnchen an. Mach es aber nicht wieder aus. Die Glühwurm-Mädchen sehen Dein Licht von weitem leuchten. Sie werden zu Dir eilen. Die erste, die bei Dir ist, ist die Deine. Du musst anfangen, sie liebzuhaben. Wenn Dir das gelingt, wird sie ebenso leuchten wie Du. Dann könnt ihr eine Familie gründen. Vergiß aber nicht, Dein Licht hinterher auszuknipsen. Schließlich müßt ihr sparen.“ “ Und wenn die Meine für ein paar Tage ihre Freundin besucht, muß ich dann mein Licht wieder anknipsen, damit sie zurückkommt?“, fragte der kleine Faulpelz. “ Nein, nein, das brauchst Du nicht“, erwiderte die Mama. „Sie kommt auch so zu Dir zurück. Sie weiß ja , dass sie zu Dir gehört.“ “ Aber, Mama, neulich, als Du für eine Woche bei Tante Lämpchen warst, hat der Papa jede Nacht sein Birnchen angeknipst“, wunderte sich das Söhnchen. Die Mutter seufzte. „Dein Vater nimmt es manchmal mit der Treue nicht so genau.. Deswegen muß ich auch schleunigst wieder nach Hause zurück.“ Sprachs, drückte den Lux kurz an sich, weinte ein bisschen und lief von dannen.
Lux tat wie ihm geheißen. Er suchte sich das grünste, weichste Blatt aus, hüpfte drauf, reckte sich, streckte sich und naschte ein paar unachtsame Flöhe.
Aber leuchten? Das tat er nicht. Daran dachte er nicht mal im Traum. Er kannte ja sämtliche Glühwurm-Mädchen. In keine war er verliebt. „ Auf Befehl geht sowas gar nicht“, meinte er zu einem grauen, unansehnlichen Holzwurm, der kopfschüttelnd an ihm vorbeikroch.
Die erste Nacht brach herein. Im Busch blieb es dunkel.
Die zweite Nacht brach herein. Nichts tat sich im Busch. So ging es viele Nächte lang.
Wahrscheinlich würde Glühwürmchen Lux noch heute unverrichteter Dinge in seinem Busch sitzen, gäbe es die Kuh Hildegard nicht. Die lebte in einem Stall auf einem Masthof. Hildegard sollte geschlachtet werden. Deshalb büxte sie eines Nachts aus, als alle schliefen. Neffe Eugen, ein junger, stattlicher Zuchtbulle hatte mit seinen starken Hörnern ein großes Loch in die Bretterwand des Stalles gehauen und somit seiner Lieblingstante zur Flucht verholfen.
Kuh Hildegard verschwand in der Nacht im Wald. Sie trottete gemächlich dahin, knabberte hier ein bisschen Moos, knusperte dort ein wenig Baumrinde. Tagsüber versteckte sie sich im tiefen Unterholz, damit die vielen Menschen und die vielen Hubschrauber, die nach ihr suchten, sie nicht finden konnten. Hildegard verschlief den ganzen Tag. Sie träumte, sie sei ein Reh.
Nachts marschierte sie weiter, immer weiter weg vom bösen Masthof, auf dem sie ihr Leben lassen sollte.
Eines Tages, oder besser, eines Nachts, gelangte die Kuh Hildegard an jenen Busch, in dem unser fauler Lux hauste. Sie fing an, mit ihrer langen, rosigen Zunge genüsslich ein Blatt nach dem anderen abzuschlecken. „ Halt!“, piepste da ein feines Stimmchen. „Bitte friss mich nicht. Hier sitze ich. Hier. Direkt unter Dir.“ „ Muh“, machte Hildegard. Rasch zog sie ihre etwas klebrige Zunge ins Maul zurück. Mit ihren großen, runden, braunen Kuhaugen betrachtete sie das Glühwürmchen, das da im Dunkeln hockte. „ Was hast Du für schöne braune Augen“, wisperte Lux. Tief drinnen in seinem Glühwurm-Bauch kitzelte es so merkwürdig. „ Muh“, machte Hildegard. Geduldig stand sie da. Das drollige kleine Kerlchen da auf dem weichen, grüngepolsterten Blatt gefiel ihr. „ Leg Dich doch hin. Ruh Dich aus. Du siehst erschöpft aus“, schlug Lux vor, dem es immer noch so merkwürdig im Bauch kribbelte.
Das tat Hildegard dann auch, zumal bereits der Morgen graute. Sie streckte sich im Schatten des Busches aus und schlief ein. Nachts erwachte sie und erhob sich von ihrem Lager, um weiterzuwandern. Vorher wollte sie sich aber noch mit ein paar Blättern vom Busch stärken. „Muh“, machte sie auf einmal erstaunt.
Mitten im Busch leuchtete und blinkte es. Ein grüngoldenes Lichtlein, das sanft erstrahlte. Langsam trottete Kuh Hildegard darauf zu. „ Muh“, machte sie wieder, denn sie erkannte Lux. Irgendwann kam sie in dem Blättergewirr nicht mehr weiter, blieb stehen und blickte das Glühwürmchen an. In ihren großen, runden, braunen Augen spiegelte sich das grüngoldene Licht. Ein ganz klein wenig fing sie an zu leuchten. Nicht zu sehr, denn sonst hätten sie ja die Menschen und die Hubschrauber finden können.
Ganz nah stand die Kuh Hildegard beim Glühwürmchen Lux. Beide leuchteten zart.
Niemand bemerkte es.
Bis auf den grauen, unansehnlichen Holzwurm, der kopfschüttelnd an ihnen vorbeikroch.