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Rosetta und Wanja

Rosetta und Wanja

Kindergeschichten— geschrieben von stoffel @ 23:04

Rosetta war ein kleines übermütiges Raumschiff. Die Menschen hatten es eines Tages, ohne es zu fragen, in den Himmel geschossen. “ Wir wollen wissen, wie es da oben aussieht im großen Weltall „, riefen sie ihm nach. “ Mach Fotos. Wenn Du genug beisammen hast, schick sie uns runter. “ Dann kehrten sie in ihre Häuser zurück und aßen zu Abend.

Rosetta aber segelte ganz alleine durch das unendliche Universum. “ Wie unheimlich ist es hier „, flüsterte das kleine Raumschiff. Die Menschen hatten es knallrot angemalt, damit es immer gut zu erkennen war, damit es nur ja nicht verloren ging. Denn es gab viele Fragen auf der Welt, die Rosetta nach ihrer Reise beantworten sollte. “ Wie kalt es ist „, dachte Rosetta. “ Was für ein heftiger Sturm weht hier oben. “ Sie sauste an den Sternen vorbei, die überall um sie herum blinkten, vorbei an dem Mond, der so schweigsam seine Bahn zog. “ Oh weh, was ist da hinten für ein großes schwarzes Loch? Der Sturm wird immer wilder. Er fegt mich direkt zu dem schwarzen Loch hin. Es kommt immer näher. Bald hat es mich verschlungen „, weinte Rosetta.

“ Heul nicht“, ertönte da eine blecherne Stimme. Gleichzeitig spürte sie, wie sie jemand festhielt und zum stehen brachte. Erstaunt drehte sie sich um. Sie traute ihren Augen nicht. Da war doch tatsächlich hinter ihr etwas, das fast genauso aussah wie sie, nur das ganze in grün! „Bist Du auch ein kleines Raumschiff so wie ich? „, fragte sie schüchtern. “ Selbstverständlich „, schnarrte es keck zurück. „Heißt Du auch Rosetta? „, fragte sie weiter. “ Und kommst Du aus demselben Land wie ich, wo so viele hohe Berge sind? “ „Quatsch „, lachte das kleine grüne Raumschiff. “ Ich heiße doch nicht Rosetta. Was für eine blöde Frage. Ich bin der Wanja. Ich komme woanders her. Bei mir gibt es einen großen breiten Fluß, der sich durch das ganze Land zieht. Mensch Rosetta, wir müssen hier weg. Wie du siehst, habe ich bei Dir angedockt. Aber ewig kann ich Dich nicht festhalten. Gleich reißt uns der schwere Sturm in das schwarze Loch hinein.“ “ Hauruck „, riefen beide verzweifelt, klammerten sich aneinander, ließen wie verrückt ihre Räderchen kreisen und stießen sich mit aller Kraft zurück. Die vier weißen Segel auf ihren Schiffchen flatterten ängstlich hin und her. Schließlich schafften sie es, sich aus dem tobenden Sturm zu befreien. Es wurde ruhig im weiten dunken All. “ Geschafft „, stöhnte der kleine grüne Wanja erleichtert. “ Das war knapp. Guck mal, Rosetta, wir sind jetzt in einer anderen Umlaufbahn. “ Damit hatte er recht. Es war ein bißchen heller geworden, denn die erste der tausend Sonnen war aufgegangen.

Erleichtert segelten die beiden nebeneinander her. “ Was machst Du hier? „, fragte Rosetta. “ Die Menschen haben mich hergeschickt, weil sie wissen wollen, wie es hier aussieht und was es alles gibt. Ich muß für sie Fotos machen „, antwortete Wanja. “ Ich auch „, seufzte Rosetta. “ Du bist aber ganz schön knallig rot wie ein knallrotes Gummiboot „, kicherte Wanja. “ Und Du bist ganz schön knallig grün wie ein kleiner grüner Kaktus „, kicherte Rosetta zurück. Vergnügt flogen sie dahin. Ihre weißen Segel wehten jetzt sacht im lauen Wind. Die Räderchen unter sich hatten sie eingezogen. Wie waren sie froh, nicht mehr allein im Universum zu sein! “ Ich hab Hunger und Durst „, klagte Rosetta schließlich. “ Da vorne rechts ist ein Planet. Da rasten wir „, schlug Wanja mit seiner schnarrenden Stimme vor. Die beiden kleinen Raumschiffe drosselten allmählich ihr Tempo. Sanft landeten sie auf dem Planeten. “ Der ist ja auch rot genau wie ich „, wunderte sich Rosetta. “ Besonders groß sieht der aber nicht aus. Dann können wir uns wenigstens nicht verirren „, stellte sie erleichtert fest. „Guck mal „, rief Wanja. “ Da vorne gibt es Wasser. Los, wir schießen gleich ein paar Fotos und schicken sie von unserem Bordcomputer aus zur Erde. Dann freuen sich die Menschen. Die wollen ja immer wissen, ob es hier oben Wasser gibt. Ganz verrückt sind sie danach. Danach picknicken wir. Benzin und Öl haben wir ja zum Glück in Hülle und Fülle da. Verhungern und verdursten werden wir jedenfalls nicht. Alles klar, Rosie? “

Vorsichtig näherten sich die beiden Raumschiffe dem Wasser auf dem fremden roten Planeten. Das sah lustig aus, wie sie da mit ihren weißen Segelchen so rot und grün nebeneinander auf den Rädern entlang rollten, die sie inzwischen wieder ausgefahren hatten. “ Das Wasser wird immer größer „, flüsterte Rosetta erstaunt. „Vorhin sah es noch wie ein kleiner Bach aus. “ Tatsächlich, der kleine Bach wurde größer und größer, schwoll immer mehr an, wurde zum Fluß, wurde breiter, dehnte sich aus, bis er ein riesiges Meer wurde, dessen Ende nicht zu erkennen war. “ Das wird eine Sensation, wenn wir Fotos von dem Meer auf die Erde schicken „, jubelte Wanja. Rosetta und er zückten ihre Kameras und fotografierten das grandiose Schauspiel.

Doch mit der Zeit wurde ihnen bang, denn das Meer hörte nicht auf sich auszudehnen, kam langsam und bedrohlich auf die beiden Rumschiffchen zu. Gischt schäumte auf, fing an sie zu benetzen. “ Wir müssen abhauen. “ Wanja mußte jetzt brüllen, um das inzwischen ohrenbetäubende Toben zu übertönen. Die Wellen bauten sich turmoch auf, verteilten sich überall hin. Mit ihren weißschäumenden Kronen sahen sie aus wie wild und unbeherrscht galoppierende Rösser, die hochaufspritzend über das Meer jagten. “ Rosetta, weg von hier „, keuchte Wanja. So schnell es irgend ging, rollten sie, ihre Fotokameras fest an sich pressend, auf ihren Räderchen voran, um das Ende des gefährlichen Planeten zu erreichen und von da aus wieder ins offene Universum zu gelangen. “ Wanja, oh Wanja, sieh doch nur, da auf dem Meer „, schrie Rosetta in höchster Not. Wanja wandte sich um. Für einen Moment erstarrte er vor Schreck. Ein riesiger dunkler Wal war im tiefen Merr aufgetaucht, durchpflügte es mit seinen messerscharfen Flossen, tauchte kurz unter, schnellte wieder mit ungeheurer Kraft daraus empor, schnaubte aus seinen Nasenlöchern das Wasser heraus, das wie reißende Ströme herabstürzte. Mitten zwischen den tobenden schreienden Wellen flog er geradezu durch das Meer. Oben auf seinem mächtigen Rücken standen graue Schattengestalten dicht an dicht nebeneinander, hielten sich umschlungen. Langsam, sehnsuchtsvoll und leise sangen sie das Lied des Wals.

“ Was sind das für Gestalten? „, flüsterte Rosetta. “ Ich weiß es nicht „, flüsterte Wanja zurück. “ Sie sehen aus wie Menschen. Guck mal, Rosetta. Ich glaube, einige von ihnen winken uns zu.“

Ein wenig verloren die beiden ihre Angst, nahmen sich dennoch rasch an den Schraubenhändchen, eilten zum Rand des roten Planeten, ließen ihre Räderchen wieder einfahren und setzten zum Weiterflug an.

Geschafft!

“ Das war gerade noch rechtzeitig „, seufzte Rosetta. “ Das Meer war ganz dicht vor uns. Unsere Räder sind schon etwas naß geworden. “ Nun glitten sie wieder ruhig dahin. Da sie ihren Hunger und Durst nicht hatten stillen können, aßen und tranken sie sich während des Fliegens an Öl und Benzin satt.

Doch die Ruhe währte nicht lange. “ Was sind das denn schon wieder für merkwürdige Wesen? „, jammerte Rosetta mit ihrer hellen klirrenden Stimme. „Weiß ich doch nicht, Du Heulsuse „, schimpfte Wanja. “ Immer flennst Du gleich los. Die sehen doch gar nicht gefährlich aus, eher wie winzige Regentröpfchen. “ Wanja hatte recht. Es waren winzige Weltallregentröpfchen. Aber anders als bei uns auf der Erde war jedes einzelne Tröpfchen von goldener Farbe und jedes hatte ein Gesichtchen mit winzigen Äuglein drin, einer Stupsnase und einem Mündchen. Lustig sahen sie aus. In riesigen Schwärmen umtanzten sie die beiden Raumschiffe. Dabei sangen sie mit ihren Stimmchen zart und silberhell:

„Wir sind so schön, wir sind so fein,

gleich wie die lieben Engelein,

doch sind wir nicht so brav wie diese,

nein, frech sind wir und manchmal fiese,

doch meistens sind wir nett und auch charmant,

als Godis sind wir hier im Himmel weltbekannt.“

Aha, diese winzigen Tröpfchen waren also die Godis. Rosetta und Wanja waren von dem betörenden Gesang der Goldtröpfchen so verzaubert, daß sie überhaupt nicht darauf achteten, wo sie entlangsegelten. Blindlings folgten sie dem lockendem Gesang des Schwarms der Godis. Erst als sie etwas unsanft auf etwas stießen, erwachten sie aus ihrer Verzauberung. “ Wo sind wir? „, fragte Rosetta beklommen. “ Immer fragst Du was „, raunzte Wanja. „Eigentlich kann ich Dich gut leiden. Aber mit Deiner Fragerei nervst Du total. Du siehst doch, daß wir auf einem Stern gelandet sind. Die Zacken erkennt doch jeder. “ “ Jawohl „, zirpte der kleinste und goldigste Godi. “ Ihr seid jetzt auf dem Stern der Godis gelandet. Das ist unser Zuhause. “ Immer noch umschwärmten sie die kleinen Raumschiffe. Das Rot und Grün der beiden war schon ganz vergoldet. Bei dem Wort “ Zuhause “ überkam Rosetta ein großes Heimweh. “ Ich will wieder hinunter auf die Erde „, schluchzte sie. “ Jetzt heulst Du schon wieder „, schnarrte Wanja, der aber auch insgeheim einen dicken Kloß im Hals verspürte, weil er selber Heimweh hatte.

“ Schaut doch hinunter „, rief einer von den anderen Godis in feinem Singsang. “ Ihr seid gar nicht so weit entfernt von der Erde. Wenn ihr bis zum äußersten Zacken rollt, könnt Ihr sie erblicken. “ Die beiden Raumschiffchen rollten hin. Ihre weißen Segel zitterten gespannt in froher Erwartung. “ Tatsächlich „, jubelte Wanja. “ Ich erkenne mein Land da unten mit dem großen breiten Fluß. “ “ Ich sehe gar nichts „, jammerte Rosetta. “ Mensch, Rosie „, schepperte Wanja. “ ich glaube, Du brauchst ne Brille. Guck doch mal richtig hin. “ “ Au ja, jetzt erkenne ich mein Land mit den hohen Bergen „, jauchzte Rosetta. “ Wanja, oh Wanja, schau nur, es scheint Abend auf der Erde zu sein. Die Fenster leuchten und blinken.“

“ Sieht super aus „, schnarrte Wanja. Mit einem seiner Schraubenärmchen tätschelte er ein wenig unbeholfen Rosettas Ärmchen. “ Ich glaube, unser Bordcomputer brummt schon die ganze Zeit „, stellte er etwas schuldbewußt fest. Sofort sahen die beiden nach, was da inzwischen eingegangen war. “ Du liebe Zeit „, klagte Rosetta. “ Das sind ja Millionen von Fragen, die die Menschen an uns stellen. Sie wollen wissen, warum es hier tausend Sonnen gibt, was es mit dem schwarzen Loch auf sich hat, wie der rote Planet heißt, warum er überhaupt rot ist, ob der große Wal gut oder böse ist und was das für graue Schattengestalten auf dem Rücken des Wals sind. “ “ Mensch Rosie, bleib locker. Wir finden schon die richtigen Antworten auf die ganzen Fragen. Wir müssen uns nur Zeit lassen. Hauptsache, die Menschen streiten sich nicht wieder rum und vertragen sich. Auf jeden Fall „, fügte er selbsbewußt hinzu, “ scheinen unsere Fotos, die wir hinunter geschickt haben, von einwandfreier Qualität zu sein. “ Sprachs, schnappte sich die Rosetta und gemeinsam setzten sie zum Abflug an. Die vier weißen Segel blähten sich sanft im frischen Wind.

Inzwischen war auch die tausendste Sonne aufgegangen. Das ganze Universum war nicht mehr dunkel wie bisher, sondern in strahlenden Glanz gehüllt. Rosetta und Wanja flogen los. Sie winkten zum Abschied den winzigen Godis zu, die auf ihrem Stern zurückblieben. Immer kleiner wurde der Schwarm der Godis, bis nur noch eine goldene duftige Wolke in der Ferne zu sehen war.

Auf der Erde wurden die beiden Raumschiffe mit großem Jubel empfangen. Jedes mußte nun in sein eigenes Land zurückkehren. „Heul nicht, Rosie „, knatterte Wanja. Er räusperte sich kurz. “ Wenn die ganze Fragerei eines Tages ein Ende hat, besuchen wir uns. Und bis dahin, Schätzelein, wozu gibt es Telefon? “

Rosetta und Wanja mußten viel erzählen. Die Menschen in dem Land mit den hohen Bergen und die Menschen in dem Land mit dem großen breiten Fluß stellten jeden Tag aufs neue dieselben Fragen. Die Fragen hörten nicht auf, weder in dem einen noch in dem anderen Land.

Rosetta und Wanja erzählten und erzählten.

Sie erzählen immer noch.

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