Ich bin vor dem Krieg geflohen und wohne jetzt in einem Baum. Er umschließt mich fest mit seinem Stamm. Keiner kann mich sehen. Ich bin klein und leicht, weil ich fast alles zurücklassen musste, was mir gehörte. Die Raketen rasen an dem Baum vorbei. Ganz sacht neigt er seine Krone zur Seite. So kann ihn keine von den Raketen treffen.
Viele Bomben fallen um ihn herum auf die Erde. Durch die starke Erschütterung bebt sein Stamm aber nur ganz leise. Innendrin fühle ich das Beben und jedes Mal sinke ich ein wenig tiefer nach unten, weil ich mich nirgends festhalten kann. Ganz sanft schwebe ich immer im Kreis herum. Da bemerke ich, dass ich nicht allein bin. Überall im Baum ist ein zartes Schweben zu spüren.
Draußen knallen Gewehrschüsse. Man hört lautes Geschrei. Eine Gewehrkugel trifft den Baum. Sie gleitet aber an seinem Stamm herunter. Ruhig und still steht der Baum da. Er lässt sich nicht anmerken, dass ihn die Gewehrkugel verletzt hat. Nur ganz kurz krümmt sich im Schmerz sein Stamm zusammen. In ihm drin berühren wir durch die unerwartete Bewegung hin und wieder einander. Das tut aber nicht weh, weil wir so leicht sind.
Der Baum hat sich rasch aufgerichtet. Groß und beinahe unversehrt steht er wieder da. Krachend rollen Panzer an ihm vorbei. Die Erde scheint zu bersten. Jammervolles Klagen hallt von überall her zu ihm hin. Ein wenig bebt jetzt wieder sein Stamm. Wir spüren das und schweben leicht wie Schneeflocken langsam tiefer nach unten dorthin wo seine Wurzel ist, die uns beschützen wird.
Es kommt mir so vor, als ob wir immer mehr werden in dem Stamm. Bald kann man uns gar nicht mehr zählen. Wie friedlich es hier drinnen ist, obwohl wir doch so viele sind. Fast unendlich viele. Nun kann ich weit unten die Wurzel des Baumes erkennen. Bald werden wir sie erreichen. Wie gerne würden wir alle nochmal ganz kurz raus aus dem Baum und uns die Sonne ansehen, den Mond und das Licht. Den Himmel, das Meer und die Sterne.
Doch das geht nicht. Denn draußen tobt der Krieg. Er nimmt uns die Sonne. Er nimmt uns den Mond. Und er nimmt uns das Licht.
Hier drin in dem Baum sind wir sicher. Die ersten von uns haben die Wurzel bereits erreicht. Ganz nah liegt sie jetzt vor uns. Ein leiser Schimmer hat sich über sie gebreitet. Die Sonne hat wohl durch einen verborgenen Winkel unmerklich einen Weg zu ihr gefunden scheu und fast für immer.