Mia und ihre Freundinnen gingen oft nach der Schule ins nahe gelegene Wäldchen, um zu spielen. Oft vergaßen sie darüber, rechtzeitig zum Mittagessen nach Hause zu gehen. Die Eltern warteten voll Sorge, waren erleichtert, wenn die Kinder endlich auftauchten und ermahnten sie, das nächste Mal sofort nach dem Unterricht den Heimweg anzutreten. Besonders Mias Mama regte sich auf, sobald ihre Kleine nicht rechtzeitig erschien, denn sie musste sich allein um ihr Töchterchen kümmern. “ Es passiert schon nichts, Mama „, rief der kleine Wildfang fröhlich. “ Ach Kind „, seufzte die Mutter. “ Versprich mir, dass Du das nächste Mal gleich nach Hause kommst. “ “ Klar, Mama. “ Aber die Kinder hielten sich nicht daran. Zu groß war die Versuchung für sie, nach der Schule in dem verlockenden Wald zu verschwinden und in ihr eigenes geheimnisvolles Land einzutauchen.
Einmal wurden die Kinder von einem bösen Gewitter überrascht. Sie hatten, vertieft in ihre wilden Spiele, nicht bemerkt, wie sich der Himmel mit finsteren Wolken überzog. Es wurde dunkler und dunkler, ein dumpfes Grollen war in der Ferne zu vernehmen. Die Kinder achteten nicht darauf. Plötzlich krachte, blitzte und donnerte es direkt über ihnen. Ein heftiger, sintflutartiger Regen stürzte herunter. “ Ein Gewitter „, schrien die Kinder. Voller Angst rannten sie zu einer großen Eiche, um unter ihren breiten Zweigen Schutz zu suchen. “ Das dürft ihr nicht „, rief Mia. “ Mama sagt immer, ein Blitz kann einschlagen und dann fällt der Baum auf uns drauf. “ Was tun ? Die Kinder waren ratlos. Die Blitze zuckten ohne Unterlass am inzwischen nachtschwarzen Himmel. Pausenlos brüllte der Donner. Der Regen rauschte so heftig hernieder, als wollte er die ganze Welt überschwemmen. In ihrer Not begannen die Kinder laut zu weinen. Jetzt fielen ihnen auch ihre Elten ein, die sicher vor lauter Sorge außer sich waren. Auf einmal rief eines der Kinder : “ Dahinten ist was. “ Die Freundinnen fassten sich an den Händen, liefen an der Eiche vorbei, die bedenklich wankte, liefen tiefer in den Wald hinein auf das seltsame Etwas zu. Als sie ganz nah herangekommen waren, blieben sie verblüfft stehen. Vor ihnen saß in aller Gemütlichkeit eine hübsche grauschwarze Katze. In ihrer rechten Pfote hielt sie einen großen, roten Regenschirm, den sie schützend über sich aufgespannt hatte. Die Kinder pirschten sich langsam Schritt für Schritt vorsichtig an die Katze heran. Würde sie weglaufen? Würde sie zornig miauen? Würde sie den Regenschirm zuklappen? Die Kinder brauchten so nötig seinen Schutz! Die grauschwarze Katze blieb ruhig sitzen. Sie rührte sich nicht von der Stelle. Die Kinder kauerten sich unter den Schirm, der ihnen vor dem immer noch bedrohlichen Gewitter und dem strömenden Regen Schutz bot. Zitternd hielten sie sich gegenseitig fest. Auf einmal ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Ein riesiger Schatten neigte sich über sie. Für einen Moment wurde es stockfinster. Dann herrschte Ruhe.
Langsam hörte es auf zu regnen, der Donner verstummte, keine Blitze waren mehr zu sehen. Die Sonne brach durch die Wolken. Es wurde hell. Die Kinder lachten erleichtert auf. “ Die Katze mit dem Regenschirm ist weg „, rief eines von ihnen traurig. In der Ferne hörten sie laute bange Rufe, die sich langsam näherten. Das waren ihre Eltern, die nach ihnen suchten. “ Hier sind wir „, jubelten die Kinder froh. Endlich waren die Eltern bei ihnen angelangt. Voller Dankbarkeit, dass ihren Kindern nichts Schlimmes widerfahren war, nahmen sie sie in ihre Arme. Nur Mias Mutter blickte sich suchend um. “ Wo ist Mia? „, fragte sie angstvoll. Mia war verschwunden. Keine ihrer Freundinnen hatte es bis jetzt bemerkt.
Gemeinsam fingen alle an nach ihr zu suchen. Laut riefen sie ihren Namen. “ Mia, Mia „, schallte es durch den Wald. Immer tiefer drangen sie in ihn hinein. Keine Spur war von ihr zu entdecken. Mias Mutter begann zu weinen. “ Sie ist nicht da. Wir finden sie nicht „, schluchzte sie verzweifelt. “ Sie ist bestimmt bei der Katze mit dem roten Regenschirm „, meinte Mias beste Freundin. Sie erzählte allen die ganze Geschichte. “ So ein Quatsch „, sagten die Erwachsenen. “ Das habt ihr euch mal wieder eingebildet. Los, lasst uns weitersuchen. “ Erneut begannen sie mit der Suche. Sie suchten Tag und Nacht nach der kleinen Mia.
Vergeblich.
Jahr um Jahr verging. Mias Mutter hörte nicht auf zu hoffen, eines Tages ihr kleines Mädchen wiederzusehen. Doch je mehr Zeit dahinging, umso trauriger und verzeifelter wurde sie. Es verging keine Nacht, in der sie nicht bitterlich weinte. Oft ging sie noch spät abends in den Garten, setzte sich auf Mias Schaukel, schaukelte sanft hin und her und dachte an ihr Kind.
Eines Nachts aber, als sie wieder traurig auf der Schaukel saß, vernahm sie ein leise Rascheln im nahen Fliedergebüsch. Dem folgte ein kaum hörbares Miauen. Verwundert blickte sie in die Richtung, aus der die seltsamen Geräusche gekommen waren. Unter dem weissblühenden Fliederbusch saß eine grauschwarze Katze. In ihrer rechten Pfote hielt sie einen roten Regenschirm, den sie weit geöffnet über ein kleines Mädchen hielt. “ Meine Mia „, flüsterte die Mutter. Mia lächelte sie an.
Tief seufzte die Mutter auf. Sie erhob sich von der Schaukel und ging mit ruhigen Schritten ins Haus zurück.