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Der alte Esel August
Kindergeschichten— geschrieben von stoffel @ 00:12
Beim bösen Hucke lebte ein alter treuer Esel. Tag für Tag zog er dessen schweren Holzkarren durchs Land, der notdürftig mit einer durchlöcherten schwarzen Plane bedeckt war. Der alte Hucke hauste darin, wusch sich kaum, trug eine zerfetzte Hose und ein schmuddeliges Hemd. Kein Wunder, dass er entsetzlich stank. Täglich kochte er sich einen kaum genießbaren Fraß, schmatzte ihn geräuschvoll in sich rein, rülpste anschließend laut und kippte den Rest der widerlichen Mahlzeit dem guten August vor die Füße. Ausgehungert machte sich das abgemagerte Tier darüber her. Bis auf den letzten Krümel fraß es alles auf. “ Hüha „, schrie Hucke, wobei ihm der Speichel in den verfilzten klebrigen Bart tropfte. Sausend ließ er die Peitsche auf den August knallen. Erschöpft trottete der Esel los. Müde zog er das schwere Gefährt hinter sich her.
Einst war der Esel August ein süßes kleines Eselbaby gewesen mit einem flauschigen grauen Fell. Jedoch wurde er bald verkauft. „Mama, Papa „, schrie er verzweifelt. Doch es half ihm nichts. “ Komm her „, raunzte der böse Hucke, denn der war ab jetzt sein Herr. Mama und Papa Esel weinten bitterlich. Langsam verschwanden sie in der Ferne. Schließlich sah der kleine August nur noch ein bisschen Grau.
Ab jetzt musste er ein hartes entbehrungsreiches Leben hinnehmen. Doch er war tapfer. Klaglos ertrug er alle Pein. Er wurde alt. Sein Fell aber blieb trotz der Schläge, die er erhielt, wundersamer Weise weich mit einem grauschimmernden sanften Farbton. Sanft und gütig blickten auch die Augen des alten August.
Eines Nachts, der böse Hucke schnarchte auf seiner abgewetzten angeschimmelten Matratze eine leere Schnapsflasche neben sich, eines Nachts also rannte eine vermummte Gestalt auf den Planwagen zu, die etwas im Arm hielt. August, der schlummernd mit gesenktem Kopf im Geschirr des Wagens stand, blickte überrascht auf. “ Bitte helft mir „, keuchte die Gestalt. “ Ich werde verfolgt. “ Von weit her hörte man ein heiseres Bellen, dass rasch näher kam. Die vermummte Gestalt schob ihr Gewand etwas zur Seite. Eine junge zarte Frau kam zum Vorschein. Rasch legte sie ihr kleines Bündel, in dem ihr neugeborenes Kindlein eingewickelt war, auf den verdreckten Wagen. In fliegender Eile kletterte sie selbst hinterher. “ Verrate uns nicht „, flehte sie den alten Esel an. In diesem Moment bellte und knurrte es in unmittelbarer Nähe. Drei große dürre Hunde rasten auf den Planwagen zu. Auf einem von ihnen hockte eine Frau mit kurzen blonden Haaren. Sie hatte kalte, verächtliche Augen. “ Los, schnappt Euch die Frau mit ihrem Kind „, rief sie in schrillem Befehlston den dürren Hunden zu. “ Dann dürft ihr sie fressen. Schließlich hat sie mir mein Brot gestohlen. “ “ Wir hatten Hunger mein Kind und ich „, rief die junge Frau verzweifelt. “ Wir haben kein Geld, um uns Brot zu kaufen. Ihr aber habt doch soviel davon. “ “ Papperlapapp „, kreischte die blondierte Frau. “ Los Jungs, macht Euch an die Arbeit. Nur keine Hemmungen. “ Die drei großen dürren Hunde bellten wie verrückt und setzten zum Sprung an. August schloss erschrocken die Augen. In diesem Moment tauchte der Hucke völlig verstruwwelt unter der Plane auf. “ Was ist das für ein Lärm „, krächzte er wütend. Er sah furchtbar aus, so dreckig, so verwahrlost. Dazu verströmte er diesen unsäglichen Gestank, der unschwer erkennen ließ, dass Wasser, Seife und Handtuch schon seit Jahrzehnten ein Fremdwort für ihn waren. Das Gebell der Hunde verwandelte sich sofort entsetzt in ein klägliches Winseln. Sie unterbrachen augenblicklich ihr frevelhaftes Vorhaben, drehten sich aufheulend um und verschwanden in rasender Geschwindigkeit in eben die Richtung, aus der sie gekommen waren. Und die Frau mit den blonden Haaren? Die saß wie festgeklebt auf einem der dahinjagenden Hunden, schimpfte, plärrte, tobte. Es half ihr nichts. Sie verschwand ebenso wie ihre drei Hunde auf Nimmerwiedersehen.
Gerettet.
Der alte Hucke nahm die junge Frau samt ihrem winzigen Baby bei sich auf. Doch gut ging es ihnen nicht. Marie, so hieß die schmale junge Frau, musste hart arbeiten. Sie fegte, wusch und kochte den ganzen Tag. Allmählich wurde der verwahrloste Planwagen etwas gemütlicher, das Essen genießbarer. Es stank allerdings unverändert, denn waschen wollte sich der alte Hucke nach wie vor nicht. “ Es reicht, wenn ich inwendig nass bin “ lachte er roh. Gierig setzte er sich eine neue Schnappsflasche an den Hals. Gurgelnd schlürfte er sie in einem Zug hinunter.
Von dem wenigen Geld, dass Marie erhielt, kaufte sie ihrem kleinen Sohn Jonas Milch. Zärtlich fütterte sie ihn. Abends, wenn Hucke volltrunken auf seiner Matratze schnarchte, schlich sich Marie mit ihrem Kind im Arm zu August, schmiegte sich an sein weiches graues Fell, weinte ein bisschen und schlief ein. August neigte seinen Kopf über die beiden. Er schlief ebenfalls ein. Seine langen Eselsohren jedoch bewegten sich manchmal ein wenig, denn der gütige Esel wachte über Mutter und Kind, damit ihnen kein Leid geschehe.
Hucke wachte am nächsten Mittag auf. So lange brauchte er, bis er seinen Rausch ausgeschlafen hatte. “ Weiter gehts „, brüllte er, während er die Peitsche schwang. Wen er damit traf, ob August, Marie oder den kleinen Jonas, war ihm egal. Erschrocken rappelte sich der alte Esel auf. Marie sprang schnell mit ihrem Kind auf den Wagen. Sofort begann sie zu fegen, zu waschen und anschließend Kartoffeln zu schälen. Jonas saß auf dem Boden, spielte mit einem Knopf, der dem Hucke vor Jahren von der Jacke gesprungen war und sah seiner Mama beim Arbeiten zu. “ Hunger „, klagte er, denn Jonas war klug und konnte bereits sprechen. “ Nachher bekommst Du in Milch eingeweichte Kartoffeln. “ “ Schmeckt das gut, Mami? “ “ Und wie. Erst mache ich die Milch auf Huckes Feuerstelle warm. Dann koche ich die Kartoffeln. Zum Schluss werden sie in der Milch zerdrückt. Du wirst sehen, mein Sohn, das schmeckt fein. “ Seitdem, liebe Kinder, gibt es den Kartoffelbrei.
Während der ganzen Zeit hatte August brav den Wagen gezogen. Ab und zu spürte er Huckes Peitsche auf dem Rücken. Dann stöhnte er kurz auf, versuchte sich aber seinen Schmerz nicht anmerken zu lassen. Hucke, der schon wieder eine Flasche Schnaps geleert hatte, lachte böse. “ Warum schlagt Ihr das arme Tier „, rief Marie. “ Es tut doch alles, was Ihr wollt. Seht Ihr nicht, dass es am Ende seiner Kräfte ist? “ “ Halts Maul „, schrie Hucke. Er holte mit der Peitsche aus, um Marie ins Gesicht zu schlagen. Da bäumte sich August mit verzweifelter Kraft vorne in seinem Geschirr hoch auf, um Marie zu helfen. Mit voller Wucht traf ihn die Peitsche. Ein blutiger Striemen zog sich quer über seinen ganzen Rücken. August aber blieb still. “ Was tut Ihr da „, weinte Marie. “ Warum tut Ihr ihm weh? Seht Ihr denn nicht, dass Euch der gute Esel treu ergeben ist bis in den Tod? “ Auch der kleine Jonas weinte, denn er hatte den alten Esel von Herzen lieb. “ Stur ist das abgehalfterte Viech „, brüllte der böse Hucke. Er nahm einen großen Schluck Schnaps aus seiner schmierigen Flasche. “ Ist Dir denn nicht aufgefallen, Frau, dass das Drecksvieh immer denselben Weg geht? Ich kann ihn peitschen wie ich will. Er geht immer denselben Weg geradeaus, weder nach rechts noch nach links biegt er ab. Wenn wir am Ende vom Weg angekommen sind, dreht er um. Dann geht er genauso zurück, wie wir gekommen sind. Und das Ganze geht wieder von vorne los. Tag für Tag. Das macht mich verrückt! Aber damit nicht genug. Stellt sich uns ein Hindernis in den Weg, bleibt das dämliche Tier solange davor stehen, bis das Hindernis aus dem Weg geräumt ist. “ Für Hucke war das eine erstaunlich lange Rede. Er belohnte sich auch sofort mit einem weiteren großzügigen Schluck aus seiner Flasche, schleuderte sie aus dem Wagen und ließ sich auf seine schmuddelige Matratze fallen, auf der er laut grunzend einschlief.
“ Au “ , piepste auf einmal jemand unten. Neugierig schauten Mutter Marie und Jonas vom Planwagen herab. Eine Entenmutter mit fünf süßen kleinen Entenbabys stand mitten auf dem Weg. Zum Glück hatte die herumfliegende Flasche sie nicht verletzt, sondern nur leicht gestreift. Besorgt watschelte die Entenmama um ihre jungen Entenküken herum. Aber alle blieben unversehrt, wie sie erleichtert feststellte. August blieb sofort stehen. Keinen Zentimeter ging er vorwärts. Mutter Marie nutzte die Pause, um das spärliche Mittagessen fertig zu kochen. Klein-Jonas bekam seinen Kartoffelbrei, Marie aß auch ein wenig. August bekam ebenfalls eine Ration. Von dem Essensgeruch wachte Hucke auf. “ Her damit „, befahl er schlecht gelaunt. Er wartete gar nicht erst ab, bis Marie ihm den Teller reichte. Gierig langte er nach dem Kupferkessel, der über dem Feuer hin. Den ganzen heißen Rest vom Kartoffelbrei schlang er in einem Haps hinunter. “ Aua! „, brüllte der dumme Kerl, denn er hatte sich das Maul verbrannt. Ein fröhlich lachendes Entengeschnatter drang von unten herauf. “ Aha „, schrie Hucke. “ Deswegen geht es nicht weiter. Uns hat sich ein Hindernis in den Weg gestellt. Da muss der gnädige Herr Esel natürlich stehen bleiben. “ Wütend holte er mit der Peitsche aus. Mit einem teuflischen Lachen ließ er sie auf die muntere Entenfamilie niedersausen. Die Peitsche traf die Entenmutter mitten ins Herz. Sie war sofort tot. Eine lähmende Stille trat ein. Die winzigen Entenküken piepsten wild durcheinander. Hilflos trippelten sie um ihre Mutter herum, die reglos am Boden lag. Marie weinte, auch der kleine Jonas schluchzte. Und August?
August stand still in seinem Geschirr. Tief neigte er seinen Kopf zur Erde, damit niemand seine Augen sehen konnte, denn in ihnen schimmerte eine Träne. Sie tropfte auf den Weg. Langsam begann sie sich zu vergrößern, bis sie zu einem See wurde. Vorsichtig schubste August jedes einzelne Entenküken mit seiner weichen Schnauze vorwärts, bis auch das letzte Küken auf dem Tränensee gelandet war. Wie aber sollten sie ohne den Schutz ihrer Mutter überleben?
Der Tränensee beschützte sie. Sorgsam umschloß er die fünf kleinen Enten. Langsam trug er sie mit sich fort, dorthin, wo sie sicher und geborgen waren.
Marie stieg vom Wagen herunter. Ruhig nahm sie die Entenmutter in ihre Arme. Auf einer Wiese in der Nähe des Weges begrub sie das leblose Tier unter einer blühenden Sonnenblume.
Jetzt, da der Weg frei war, trottete August wieder los. Knarrend zog er den Wagen hinter sich her. Marie saß zusammen mit Jonas obendrauf. Sie versuchte ihr Kind zu beruhigen, das untröstlich über den gewaltsamen Tod der Entenmutter in ihren Armen schluchzte. “ Hör auf zu flennen „, knurrte der alte Hucke. “ Verflucht, Du blöder Esel, wieso bleibst Du denn schon wieder stehen? “ In der Tat. August stand wieder. Vor ihm mitten auf dem Weg befanden sich drei seltsame Gestalten: Ein Ziegenbock mit ungewöhnlich langen Schlappohren, ein Pony mit einer Mähne, die bis zur Erde reichte und ein dreibeiniger weißbraun gefleckter kleiner Hund. “ Was ist das denn für ein Viehzeug „, kreischte der unausstehliche Hucke. “ Los, trollt Euch. August fahr einfach drüber. “ Das tat unser August natürlich nicht. Bekanntermaßen sind Esel ausgesprochen stur. “ Danke, dass Du nicht über uns drübertrampelst „, meckerte der Ziegenbock. “ Darf ich vorstellen? Das Pony hört auf den Namen Shakira, der Hund nennt sich Cäsar. Meine Wenigkeit ist auf den Namen Joda getauft „, fügte er bescheiden hinzu. “ Jonas vergaß für einen Moment seinen Kummer. “ Ihr seht ja komisch aus „, lachte er vergnügt. “ Wieso hat Cäsar nur drei Beine? “ “ Geburtsfehler “ , bellte der kleine Hund. Das stimmte natürlich nicht. In einer stürmischen kalten Nacht waren die drei Tiere in Todesangst vor der blonden Frau und den drei großen dürren Hunden geflohen. Zum Glück hatten sich die Freunde retten können. Aber das vierte Bein vom Cäsar, das war den Hunden zum Opfer gefallen. Cäsar lernte rasch, auf seinen drei Beinen so schnell zu rennen, als hätte er noch alle vier. Der kleine Hund ließ sich nicht unterkriegen. “ Wie seid Ihr denn hierher gekommen? „, fragte Jonas weiter. “ Wir sind schon wieder auf der Flucht vor der blonden Frau mit den drei dürren Hunden „, wieherte Shakira. “ Das stimmt „, bellte Cäsar. “ Die blonde Frau verfolgt uns. Die nervt total. Sie will uns einfangen, damit ihre drei dürren Hunde was zum Fressen kriegen und nicht mehr so dürr sind. Aber nicht mit mir. Nicht mit Cäsar. Ich bin der schnellste Hund, den es gibt auf der Welt. Und der mutigste noch dazu. “ Blitzschnell flitzte er ein Stück des Weges dahin. Dann raste er wieder zurück und machte auf seinen drei Beinen Männchen. Das sah so lustig aus, dass alle lachen mussten. Nur Hucke lachte nicht. Er schlich sich zu seiner Peitsche, um böses damit anzurichten. “ Mami „, rief Jonas angstvoll. “ Der fiese Hucke nimmt schon wieder die Peitsche. Bestimmt will er Cäsar, Joda und Shakira damit hauen. “ “ Nicht mit mir. Nicht mit Cäsar „, bellte der kleine mutige Hund, sprang mit seinen drei Beinchen hurtig auf den Wagen und biß den gemeinen alten Mann ins Bein. “ Loslassen! „, brüllte Hucke. Doch Cäsar hatte sich festgebissen. Er knurrte gefährlich. Das konnte er gut. In nullkommanichts hüpfte auch Ziegenbock Joda aufs Gefährt, senkte den gehörnten Kopf und rammte ihn dem Hucke in den dicken Hintern. “ Au „, jaulte der. Rasch nahm ihm Marie die Peitsche ab. Behende wickelte sie ihn darin ein. Joda verpaßte ihm noch mal einen kräftigen Stoß mit seinen ansehnlichen Hörnern. Daraufhin plumpste der gefesselte Hucke auf seine miefige Matratze. “ Hucke ist gefangen, Hucke ist gefangen „, jauchzte Jonas. Vergnügt sprang er auf dem Wagen herum. Marie lachte. Wie war sie erleichtert, ihren kleinen Sohn wieder so fröhlich zu sehen. “ Bleibt doch bei uns „, forderte sie die drei Freunde freundlich auf. “ Ihr müsst übrigens keine Angst mehr vor der blonden Frau und ihren drei dürren Hunden haben „, fügte sie hinzu. “ Die kommen hier nicht her, solange Hucke stinkt. Und der stinkt immer. “ Alle lachten. Nur Hucke nicht. Ach, wie schön war es für Marie, Jonas und August, ihren Peiniger nicht mehr fürchten zu müssen. Der lag mit seiner eigenen Peitsche gefesselt auf der Matratze. Wütend krakelte er rum. Doch es kümmerte keinen.
Das hübsche langmähnige Pony Shakira hatte sich in der Zwischenzeit neben August ins Geschirr gestellt. “ Ich helfe Dir den Wagen zu ziehen. Er ist doch für Dich allein viel zu schwer „, wieherte sie sanft. “ Wir können jetzt auch weiter. Der Weg ist frei. “
August wandte den Kopf mit den sanften guten Eselsaugen zu ihr hin und sah sie an. Wie war Shakira schön! Gemeinsam zogen sie den alten Karren vorwärts. Bald waren sie am Ende des Weges angelangt. Rechts und links verzweigten sich andere Wege. Doch die waren dem alten Esel August zu fremd. Behutsam drehte er sich mitsamt dem Wagen um. Den ganzen langen Weg, den er gekommen war, ging er nun wieder zurück. Doch jetzt hatte er das hübsche Pony Shakira an seiner Seite. Langsam zogen die beiden den wuchtigen Karren voran, vorbei an vertrauten Wiesen und Feldern, vorbei an der blühenden Sonnenblume, unter der die Entenmutter begraben lag. Langsam und vorsichtig zogen sie den Wagen, damit niemand oben auf dem Wagen in Gefahr geriet.
Auch Hucke nicht.