Hier erfahrt Ihr noch mehr über die Rumpeloma und ihre Erdbeerfreunde
Wie Ihr wißt, ist Rumpeloma Käthchen nicht mehr die Jüngste, obwohl ihre Augen noch so fröhlich leuchten und obwohl sie mit dem flotten Jakob, der Erdbeere, hin und wieder ein ganz flottes Tänzchen aufs Parkett legt. Nach wie vor treffen sie sich, das Käthchen und die tanzenden Erdbeeren, zum Schlagsahneessen, Lachen, Tanzen und Reden. Aber wie gesagt, unsere Rumpeloma ist nicht mehr die Jüngste, und neulich geschah ein großes Unglück.
Käthchen hatte sich, zugegebenermaßen nach zwei Gläschen Selbstgebranntem etwas unsicher auf den falsch bestrumpften Beinen, ins Bett begeben wollen. Dabei stieß sie versehentlich an ihren wackeligen Tisch, stolperte und fiel dabei so ungünstig, dass sie sich ihr Hüftgelenk brach, das sowieso nicht mehr das stabilste war. Oma Käthchen richtete sich langsam auf, wobei sie laut aufstöhnte. Es tat höllisch weh. Sie machte sich humpelnd und kleine Schmerzenslaute ausstoßend auf den Weg zu ihren Erdbeerfreunden.
Lachen konnte das Käthchen im Augenblick nicht. Natürlich war es mal wieder tiefe Nacht. Der Weg war so lang und mühsam. Endlich erblickte sie das Erdbeerfeld und seufzte erleichtert auf. Schon wollte sie nach Jakob, Jochen, Rosalinde und Fritzchen rufen, ihren engsten Erdbeerfreunden, da sah sie, dass die mit ganz anderen Dingen beschäftigt waren. Aufgeregt wispernd und flüsternd umringten sie einen kleinen, schwarzen Knirps in ihrer Mitte.
Das war die Brombeere Manuel. Manuel war der beste Freund von Walderdbeere Fritzchen. Er war sehr traurig gewesen, nachdem Fritzchen vom alten Pfifferling Jeremias durch eine kräftige Ohrfeige aufs Erdbeerfeld geflogen war. Manuel wollte wieder bei Fritzchen sein. Er wußte ja, wie das ging. Also warf er kleine Steinchen in Richtung Jeremias, und es dauerte nicht lange, da befand sich Manuel auch bei den tanzenden Erdbeeren direkt neben Fritzchen. Beide freuten sich über alle Maßen, lachten und tobten herum. Übrigens konnte Brombeere Manuel hervorragend rappen.
Leider aber störten sich die braven Erdbeeren auf den benachbarten Erdbeerfeldern daran, dass es nun bei unseren unangepaßten roten Freunden einen störenden schwarzen Punkt gab. Um dieses Problem hatte sich jetzt der gütige Jakob, der hagere Jochen, die dicke Rosalinde und das freche Fritzchen zu kümmern. Das erkannte vor Enttäuschung halb weinend Rumpeloma Käthchen. Sie wandte sich wieder um und ging allein, gebückt unter großen Schmerzen, zurück zu ihrem alten, baufälligen Häuschen.
Es dauerte lange, bis sie da wieder angelangt war. Mühsam humpelte sie hinunter in ihren Keller, wo Mathilde stand. Mathilde war ihr uraltes Fahrrad, das seit Jahren unbenutzt an der Kellerwand lehnte. Verrostet. Ohne Luft in den platten Reifen. Einen Augenblick ruhte Käthchens runzlige Hand auf der abgegriffenen Lenkstange. Was hatte sie nicht alles mit der treuen Mathilde erlebt. Damals, als sie vor vielen Jahren noch kein Rumpeloma Käthchen war, sondern eine hübsche, übermütige Käthe mit langen, dunklen Haaren. Sie erinnerte sich, wie sie mit zurückgeworfenem Kopf und geschlossenen Augen auf der stolzen, vor Sauberkeit blitzenden Mathilde einen Berg hinunterradelte mitten hinein in die lachenden Arme von Ludwig. Nur kurze Zeit später schritten sie und Ludwig gemeinsam zur Kirche. Ludwigs rechte Hand hielt Käthchen ganz fest. Seine linke Hand umfaßte Mathildes Lenkstange, an der zwei weiße Bändchen im Wind flatterten.
Viele Jahre später fuhr Käthchen auf Mathilde weinend einem großen, grauen Auto hinterher, das für immer in der Ferne verschwand. Rumpeloma Käthchen schüttelte leicht den Kopf mit dem dünnen Haarknötchen obendrauf und begann mit der kleinen, weißen Luftpumpe Luft in die platten, rissigen Reifen des alten Fahrrades zu pumpen. Dann wuchtete sie unter großem Gestöhne Mathilde die Kellertreppe hoch, schleppte sich und das Fahrrad ins Freie und fuhr los.
Jeder Tritt mit dem Pedal tat grauenhaft weh, aber: “ Ich muß es schaffen“, murmelte Käthchen. “ Nur Doktor Ziegenbart kann mir helfen.“ Doktor Ziegenbart war ein angesehener Tierarzt, der ein kleines Tierkrankenhaus leitete. Ja, Ihr habt richtig gehört, ein Tierarzt. Aber er behandelte auch Menschen, die wenig oder gar kein Geld hatten, um eine Krankenversicherung zu bezahlen, wie Oma Käthchen. Denn Doktor Ziegenbart war nicht nur fachlich äußerst kompetent, sondern auch von großer Güte. Aber würde es unser krankes, altes Käthchen auch bis dahin schaffen?
Ihr Kopf mit dem wippenden Haarknötchen war müde und erschöpft dicht über Mathildes Lenkstange gebeugt, die stark vergrößernde Brille war ganz nach vorn auf die liebe Rumpelomanase gerutscht. Die Füße traten nur noch langsam und schleppend in die Pedale, bald hingen sie nur noch von den Schmerzen fast gefühllos geworden, rechts und links schlaff und tatenlos herunter. Die Pedale der guten Mathilde drehten sich einige Male um sich selbst. Sie drehten sich und drehten sich. Ein hörbares Ächzen des treuen, alten Fahrrades war zu vernehmen.
Auf einmal aber begannen sich Mathildes Pedale immer schneller zu drehen, immer schneller, ohne dass Oma Käthchens Füße sie berührten. Sie schnurrten geradezu und das Fahrrad gewann allmählich an Fahrt.
So rauschten sie durch die tiefdunkle Nacht. Mathilde mit dem vor Schmerzen halb ohnmächtigen Käthchen auf ihrem schwarzen Sattel, Käthchen lag mehr, als dass es saß. Sie flogen dahin durch den dichten Wald, über Stock und Stein. Endlich leuchtete hinter einem kleinen Hügel etwas Weißes. Das war das Tierkrankenhaus von Doktor Ziegenbart. Mit letzter Kraft erreichten sie ihr Ziel. Mathilde konnte vor Erschöpfung nicht mehr bremsen und krachte gegen die Hauswand, auf der mit großen Buchstaben geschrieben stand:
WIR BEHANDELN TIERE UND MENSCHEN AUCH OHNE KASSEN.
Käthchen flog in hohem Bogen direkt vor die Krankenhaustür, die sofort aufgerissen wurde. Zwei Schwestern und ein Pfleger stürzten heraus und trugen die Rumpeloma auf einer Krankentrage ins Operationszimmer zu Doktor Ziegenbart. Mathilde, die draußen mit schiefem Lenkrad und einer abgebrochenen Pedale nur noch wie ein Häuflein Schrott aussah, beachtete niemand mehr. “ Rumpeloma Käthchen“, rief Doktor Ziegenbart fröhlich. “ Was machen Sie denn wieder für Geschichten.“ Selbstverständlich kannte er unser Käthchen gut. Doktor Ziegenbart hatte einen an beiden Seiten hochgezwirbelten Bart. Außerdem trug er eine dunkle Sonnenbrille, weil seine Augen das helle Licht im Operationssaal nicht mehr so gut vertrugen.
Er untersuchte Käthchen lange und gründlich. “ Ein neues Hüftgelenk muß her“, konstatierte er schließlich. “ Das geht nicht“, jammerte die Rumpeloma. “ Das ist viel zu teuer.“ “ Das wolln wir doch mal sehen“, rief Doktor Ziegenbart, ging gemessenen Schrittes ins untere Stockwerk, wo allerlei Drähte, Nägel und Schrauben herumlagen, zog einen besonders stabil aussehenden Draht hervor, knetete ihn ein bißchen mit den medizinisch geschulten Fingern, ging wieder nach oben zur Rumpeloma und setzte flugs das Drähtchen zusammen mit zwei Schrauben und einem Nagel in Käthchens kranke Hüfte ein. Selbstverständlich nachdem er das gebrochene Hüftgelenk entfernt hatte. Danach wurde eine Woche Krankenhausruhe angeordnet und sehr viel kräftigende Aufbaukost.
“ Wie gehts denn unserer guten, alten Mathilde“, erkundigte sich Doktor Ziegenbart freundlich. „Steht sie immer noch in Ihrem Keller?“ “ Mathilde liegt draußen vor dem Krankenhaus. Sie hat mich hierhergetragen und jetzt ist wohl ihre letzte Stunde gekommen“, erwiderte Oma Käthchen leise. „Das wolln wir doch mal sehen“, rief Doktor Ziegenbart dröhnend, ging wieder ein Stockwerk nach unten, griff wieder in die Drähte, eilte mit wehendem Arztkittel nach draußen, verpaßte dem treuen, alten Fahrrad erstmal eine Spritze, und dann wurde lange gefummelt und gewurschtelt. Schließlich richtete sich Doktor Ziegenbart auf und betrachtete sein Werk. “ Ein medizinisches Wunder“, sagte er zufrieden zu sich selbst, denn er war durchaus selbstbewußt. Mathilde stand wieder. Sie sah zwar nicht aus wie neu, aber es war alles an ihr dran. Sie war wieder fahrbereit.
Wenige Tage später sah man ein fröhliches Oma Käthchen auf einer fahrtüchtigen Mathilde davonbrausen. Doktor Ziegenbart und seine Mannschaft standen vor dem Krankenhaus und winkten zum Abschied. Die Rückfahrt verlief natürlich viel angenehmer und schneller, das könnt Ihr Euch denken. Schließlich kamen sie auch am Erdbeerfeld mit den tanzenden Erdbeeren vorbeigeradelt. “ Heute nacht wie immer um zwölf Uhr bei mir“, rief Rumpeloma Käthchen ihren Freunden zu und wackelte ein bißchen mit den Hüften. Dann erblickte sie Brombeere Manuel. “ Wieso bist Du denn auf einmal rot“, wunderte sie sich. “ Das war ich“, rief Walderdbeere Fritzchen stolz. “ Ich hab ihm rechts und links ein paar geschallert. Hab ich vom alten Jeremias gelernt. Jetzt sieht Manuel aus wie ich.“ “ Hat fast gar nicht wehgetan“, piepste die kleine Brombeere und rieb sich das hochrote Köpfchen. “ Heute nacht muß ich bestimmt allein hierbleiben, weil ich doch trotzdem eine Brombeere bin“, sagte Manuel traurig. „Das wolln wir doch mal sehen“, rief Oma Käthchen und winkte der ganzen Bande vergnügt zu.
Ein übermütiges Klingeln ertönte.
Das war Mathilde.