Kindergeschichten

Peter, der Lastwagen

Peter, der Lastwagen, hatte nicht die besten Manieren. Dick und wuchtig mit zwei Anhängern hintendran parkte er auf der Landstraße. Vorne hinter der Windschutzscheibe konnte man ein breites, gelbes Schild sehen. Darauf stand in großen, schwarzen Buchstaben: Peter.

Peter war unfreundlich, mürrisch, faul und gefräßig. Höchstens einmal in der Woche erklärte er sich bereit über die Straßen zu fahren, um Sachen zu transportieren, nicht ohne vorher Unmengen von Benzin in sich hineinzumampfen. Und zwar: “ Nur Diesel will ich haben. Damits ordentlich qualmt und stinkt. Dann machen alle einen Bogen um mich. Und ich habe meine Ruhe“, brummte Peter schlecht gelaunt. Wenn er zweimal in der Woche fahren sollte, meldete er sich krank. “ Mein Motor stottert“, meinte er. „Ich muß noch ne Weile hier parken. Außerdem bin ich gut versichert.“ Diesen Auspruch bekräftigte er mit einem Zischen und Fauchen nach hintenraus. Für einen Moment qualmte und stank es entsetzlich. Auf diese Weise hatte der dicke Peter die Landstraße für sich alleine. Alle anderen Autos parkten woanders.

Den ollen Lastwagen kümmerte es nicht, wen er transportierte. Hauptsache, er bekam genug Diesel zu fressen, hauptsache, die Verdauung klappte, hauptsache, der Schlaf war ausreichend. “ Keiner raubt mir den“, knurrte er finster und machte die Scheinwerfer aus.

Am nächsten Tag mußte er eine Tour machen. Beide Anhänger waren proppevoll. Womit? Keine Ahnung. Peter brauste auf der Straße dahin in rasendem Tempo, denn er wollte rasch wieder zu Hause sein. Auf einmal aber bremste er scharf. Hinten in den Anhängern rumpelte es wie verrückt. Undeutliche Laute waren zu vernehmen, laut, klagend, angstvoll. Direkt vor dem dicken Peter stand etwas kleines, glitzerndes. Hochaufgerichtet. Zwei wütende Augen blitzten ihn an. “ Fast hättest Du mich überfahren“, schnarrte ein zorniges Stimmchen. Der mächtige Lastwagen glotzte das kleine Etwas blöde an. “ Mir aus dem Weg“, grunzte er unfreundlich. “ Ich überfahre niemanden.“ Ganz schlecht schien er demnach nicht zu sein. „Was bist Du überhaupt für ein komisches Ding?“, fragte er barsch. “ Ich bin eine kleine Spielzeugpuppe. Heute habe ich mein schönstes Glitzerkleid angezogen, weil ich bei Dir mitfahren will.“ Sprachs, sprang hoch in die Luft, zwängte sich durch einen schmalen, offenen Fensterspalt vom dicken Peter, schon saß es im verblüfften Lastwagen. “ Also…“, dröhnte der los. “ Papperlapapp“, piepste das Püppchen. Mit seinem winzigen Puppenzeigefinger drückte es auf einen der zahlreichen Knöpfe am Amaturenbrett. Sofort sprang die Tür des ersten Anhängers auf. Was dort herausquoll in einem wilden Durcheinander, verzweifelt und aufgeregt, verschlug selbst dem grobschlächtigen Lastwagen den Dieselatem. Es waren alles Kinder, große und kleine, schwarze, gelbe, rote, weiße, braune, manche trugen auf dem Kopf kleine Käppchen, manche Kopftücher, manche Mützen, manche gar nichts. „Die Kinder sollst Du wegbringen in ein anderes Land. Sie wollen aber nicht dorthin, weil es ihnen dort nicht gutgeht. Sie wollen hierbleiben bei Mama und Papa“, flüsterte die kleine Spielzeugpuppe. “ Ich gehöre dem kleinen, schwarzen Mädchen dahinten mit der bunten Wollmütze auf dem Kopf. Es hat mich vorhin verloren. Alle anderen Kinder haben ihre Spielsachen ebenfalls unterwegs verloren“, wisperte das winzige Püppchen. Erneut drückte es auf einen Knopf. Da sprang die Tür des zweiten Anhängers auf. Eine Menge Spielzeug flog heraus. Spielzeugautos, Puppen, Teddys in Hülle und Fülle. Die Kinder rannten jubelnd zu ihren Spielsachen hin. Jedes Kind erkannte sofort sein Lieblingsspielzeug, zog es aus dem Haufen und drückte es an sein Herz. Nur das kleine, schwarze Mädchen mit der bunten Wollmütze stand mit leeren Händen da. Es weinte. Da gab die kleine Spielzeugpuppe dem mürrischen Peter ganz schnell einen Kuß aufs Lenkrad, schwebte aus dem Fensterspalt hinaus geradewegs in die Hände des kleinen, schwarzen Mädchens. Das hörte sofort auf zu weinen.

Alle Kinder befanden sich auf der Straße. Jedes hatte sein Lieblingsspielzeug in der Hand. Die Straße schien keinen Anfang zu haben und kein Ende. Überall sah man Kinder. Es waren so viele. Sie alle blickten zum Peter hin, dem alten, schweren Lastwagen. Der war ganz still. Kein Schimpfen, kein Knurren, kein Brummen. Nur ein leises Tropfen war hin und wieder zu hören. Ein kleines bißchen Dieselöl tropfte aus Peters Tank hinunter auf die Straße. Plötzlich zischte und brodelte es, heulte kurz auf, schließlich ratterte es gleichmäßig. Der dicke Peter hatte den Motor angelassen. “ Alle einsteigen, aber ein bißchen plötzlich“, dröhnte es laut aus ihm heraus. “ Ihr bleibt alle hier. Niemand muß in ein anderes Land. Ich bringe euch zurück zu Mutter und Vater.“ „Aber wer beschützt uns unterwegs?“, fragten bang die Kinder. Die Scheinwerfer des großen, alten Lastwagens leuchteten kurz auf. Ihr Strahl traf inmitten der zahllos vielen kleinen Gestalten zielgenau auf etwas winziges, glitzerndes, das in den Händen des kleinen, schwarzen Mädchens mit der bunten Wollmütze lag. “ Das da“, brummte Peter. Da lachten die Kinder erleichtert, kletterten in die beiden Anhänger zusammen mit ihren Spielsachen. Die Türen schlossen sich. Peter, der Lastwagen, fuhr los.

Tag und Nacht braust er dahin. Immer, wenn er am Rand der Straße eine Mutter und einen Vater sieht, hält er an und öffnet die Türen. Dann springt ein Kind heraus direkt in die weit geöffneten Arme, die sich ihm entgegenstrecken. Zum Schluß sind alle Kinder gerettet. Der Lastwagen ist leer. Fast. Ein kleines, schwarzes Mädchen mit einer bunten Wollmütze auf dem Kopf sitzt noch drin. In den Händen hält es seine winzige, glitzernde Lieblingsspielzeugpuppe.

Und Peter fährt weiter.

No Comments

Leave a reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *