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Filou und sein Fräulein Bohnet

 

  1. Kapitel

Fräulein Bohnet war klein und schmal. Sie wusch sich ihre Haare mit kaltem Wasser und war auch sonst sehr sparsam. Sie lebte allein oder nicht ganz allein zusammen mit ihrem Kater Maunzerle. Maunzerle war ausgesprochen scheu. Er verschlief den ganzen Tag. Wenn er wach war versteckte er sich. Ab und zu kroch er aus seinem Versteck hervor und strich dem kleinen dünnen Fräulein Bohnet um die Beine. Denn er liebte sie sehr. Und das sparsame Fräulein Bohnet liebte das Maunzerle.
Trotzdem fühlte sie sich häufig einsam. Ihre Eltern waren früh verstorben. Was ihr geblieben war, war ihr Bruder, der allerdings mit Frau und zwei Kindern weit weg in Amerika wohnte und nur selten zu Besuch kam. Doch telefonierten sie regelmäßig und liebevoll miteinander.
Fräulein Bohnet seufzte. Wie gern hätte sie auch Kinder gehabt. Wie gern einen Mann dazu! Doch schien es ihr nicht vergönnt. Von Beruf war sie Chefsekretärin eines attraktiven Rechtsanwalts. Selbstverständlich war sie in ihren Chef verliebt, machte Überstunden, tat alles für ihn, opferte sich auf. Natürlich war diese Liebe einseitig. Das war dem klugen Fräulein Bohnet klar. Der schöne Rechtsanwalt hatte eine ebenso schöne selbstbewußte Frau an seiner Seite und drei freche Kinder. Wenn die in die Kanzlei kamen, lachten sie über das fleißige grauhaarige ältliche Fräulein. „Du bist aber alt und dünn“, riefen sie und drehten ihr eine lange Nase. „Hört auf das Fräulein Bohnet zu ärgern“, ermahnte sie der Papa aus dem Nebenzimmer. „Sie ist meine rechte Hand“, fügte er noch hinzu. Das Fräulein lächelte. „Sie können jetzt Feierabend machen“, meinte ihr Chef freundlich. Fräulein Bohnet seufzte leicht, packte ihre Sachen zusammen, die schmale Aktentasche, in der rasch eine blaue Brotbüchse verschwand, zog sich ihren grauen Mantel über und ging nach Hause.
Zu Hause angekommen öffnete sie die Tür. Das Maunzerle kam ihr entgegen gesprungen. Das Fräulein streichelte es, gab ihm zu fressen und zu trinken, ging dann ins Badezimmer und wusch sich ihre Haare mit kaltem Wasser. Über ihr lärmte es. Das war ihr Nachbar. Der Frank. Er polterte, sägte in der Küche rum und hörte ohrenbetäubend laute Musik. Es war Techno und kein Brahms. Das einzige aber, was Fräulein Bohnet liebte, war klassische Musik. Besonders liebte sie Mozart. Weil sie die Musik so mochte, ging sie jede Woche regelmäßig in den Kirchenchor. Sie hatte eine hübsche aber ziemlich leise Altstimme, sodass es nicht besonders auffiel, wenn sie beim Singen mal kurz aussetzte um sich zu räuspern. Nach der Chorprobe ging sie mit den anderen weg um ein Bier zu trinken. „Kommen Sie doch mit“, forderten sie die anderen Chormitglieder jedes Mal freundlich auf, denn sie wußten, dass Fräulein Bohnet alleine lebte zusammen mit ihrer Katze aber ohne Mann.
Das Fräulein ging also mit, nippte an ihrem kleinen und einzigen Bier, hörte den anderen zu, sprach selbst kaum etwas, lachte ab und zu, wenn jemand einen Scherz machte und ging recht bald nach Hause, wo das Maunzerle bereits auf sie gewartet hatte und sie erfreut begrüßte. Über ihr ergoß der Nachbar Frank lärmende Musikgeräusche über sie. Sie ging ins Badezimmer um sich ihr graues Haar mit kaltem Wasser zu waschen.
Die einzige wirkliche Freude, die Fräulein Bohnet außer dem Maunzerle hatte, war die nächtliche Unterhaltung an ihrem kleinen handlichen Laptop mit Josef. Vor Jahren hatte ihr der Bruder aus Amerika den Laptop mitgebracht und ihr gezeigt, wie man damit umgeht. „Damit kannst du chatten und lernst vielleicht doch noch deinen Traummann kennen“, sagte er freundlich. Inzwischen konnte sie gut damit umgehen. Sie schrieb immer nachts, wenn Horrorfränk, so nannte sie ihren lauten Nachbarn heimlich, über ihr endlich ins Bett gegangen war. Es knallte und rumpelte noch eine Zeitlang. Dann war Ruhe. Nur sein Schnarchen war zu vernehmen. Das Haus war über alle Maßen hellhörig.
Eines Nachts hatte es ein klein wenig im Computer geläutet. Fräulein Bohnet sah nach. Tatsächlich hatte ihr jemand geschrieben. Ein Mann. „Ich heiße Josef“, schrieb er. „Und wie heißt du?“ Vorsichtig begannen sie sich aus ihrem Leben zu erzählen. Josef war überaus herzlich in allem, was er ihr schrieb. Er interessierte sich für sie und hörte ihr zu. Inzwischen war er aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken, gab ihm einen Sinn, machte es lebenswert. Sie erzählte ihm vom Maunzerle, vom Horrorfränk, der ihr tagtäglich das Leben mit seinem Krach schwer machte, vom Chor und vom netten Chef, den sie verehrte, aber nicht mehr liebte. Denn nun hatte sie Josef. Gesehen hatten sich die beiden aber noch nicht.
Eines Nachts, das Fräulein wollte gerade zu ihrem Laptop eilen um mit Josef zu chatten, ging über ihr unerwartet ein gräßlicher Lärm los. Horrorfränk war aus unerfindlichen Gründen aufgewacht und drehte die Musikanlage ungeachtet der späten Stunde auf volle Lautstärke. Sie hatte sich so auf die Unterhaltung mit Josef gefreut! Und nun vermieste ihr der rücksichtslose Kerl über ihr die schönen erwartungsfrohen Stunden.
Fräulein Bohnet seufzte, wusch sich ihre Haare nervös mit kaltem Wasser und drehte nun ihrerseits die Musik auf volle Lautstärke. Mozart. Was sonst hätte sie zu hören ertragen. Der Lärm über ihr verstummte plötzlich. Jemand polterte die Treppe hinunter, hämmerte an ihre Tür. Fräulein Bohnet öffnete mit kaltem nassen Haar, das Maunzerle dicht hinter ihr. Der Unhold stand im Türrahmen. „Was ist das für ein Lärm?“, beschwerte er sich und trat ungebeten ins sparsam eingerichtete Wohnzimmer. Maunzerle ließ ihn nicht aus den Augen und verfolgte ihn auf Schritt und Tritt. „Wo ist der Ausschaltknopf?“, brüllte der unverschämte Kerl. Maunzerle strich jetzt mit leisem Schnurren um seine Beine. Auf einmal fing der ungehobelte Mensch an zu husten, dann zu röcheln und schließlich mit letzter Kraft nach Atem zu ringen. „Katzenallergie“, keuchte er. „Weg mit dem Vieh“, rief er noch mit schwacher Stimme. Er war jetzt zu Boden gesunken, wand sich hin und her. Das Maunzerle setzte sich auf ihn drauf und machte es sich auf ihm gemütlich.
Fräulein Bohnet war ratlos, was sie machen sollte. Ein wenig aufgeregt lief sie ins Badezimmer und begann sich ihre Haare mit kaltem Wasser zu waschen. Sie dachte an die Qualen, die ihr Horrorfränk mit seinem überlauten baßgeschwängerten Technogekreische beschert hatte. All ihr höfliches Bitten dies doch zu unterlassen, hatte er höhnisch abgewehrt. Zusätzlich hatte er ständig was zu sägen und zu hämmern gehabt. Und nun war er mitten in der Nacht im Begriff gewesen ihr das Liebste zu nehmen, was sie hatte. Nämlich die unvergleichlich süßen Stunden mit Josef.
Mit einer raschen Bewegung stellte sie das rauschende Wasser ab. Das Stöhnen, Röcheln und Keuchen aus ihrem bescheidenen Wohnzimmer war schwächer geworden. Die Tür war einen schmalen Spalt geöffnet. Das Maunzerle saß immer noch auf der Brust vom dahinschwindenden Horrorfränk. Es schnurrte jetzt und leckte sich die Pfötchen. Fräulein Bohnet hob ein wenig ihren dunkelbestrumpften Fuß. Mit einer leichten fast unmerklichen Bewegung stieß sie die Tür ins Schloß. Es schnappte leise ein. Dann ging sie zurück ins Badezimmer um sich ihre Haare zu trocknen. Anschließend bürstete sie sie sorgfältig. Dabei lauschte sie ihrer Musik, die immer noch sanft zu hören war. Wie sehr liebte sie Mozart!
Schließlich entschloss sie sich etwas zaghaft zurück ins Wohnzimmer zu gehen. Zögernd öffnete sie die Tür. Es grauste ihr etwas, was sie zu sehen bekommen würde. Mit fröhlichem Miauen sprang ihr das Maunzerle entgegen. Zärtlich schmiegte es sich an ihre ein wenig zittrigen Beine. Der große Kerl lag lang ausgestreckt auf dem preiswerten Teppichboden. Er rührte und regte sich nicht. Er war mausetot. Maunzerle hatte ganze Arbeit geleistet. Himmlische Mozartklänge rauschten durch den Raum begleitet vom zufriedenen Schnurren der Katze.
Wieder war Fräulein Bohnet ratlos, was sie machen sollte. Wohin mit dem verblichenen Horrorfränk? Wie ruhig er auf einmal dalag. Entgegen aller moralischer Bedenken beschlich sie ein Gefühl der Erleichterung. Letzte mozartsche Klänge umschwebten sie sphärenhaft. Maunzerle lag jetzt behaglich in des unscheinbaren Fräuleins Armen. Etwas verloren stand sie da und streichelte das brave Tier.
In diesem Moment klingelte es an der Haustür. Fräulein Bohnet erschrak und ging hin um zu öffnen. Maunzerle sprang auf den Boden und folgte ihr. Vorsichtig und ziemlich ängstlich schloß sie die Tür auf. Ein großer schlanker Mann eingehüllt in einen langen dunklen Mantel stand dahinter. „Darf ich eintreten?“, fragte er höflich. „Ich bin es Josef“, fügte er hinzu. Seine Stimme klang tief und warm. „Als du dich nicht meldetest, habe ich mir Sorgen gemacht und mich auf die Suche nach dir begeben“, sagte er zum sprachlosen glücklichen Fräulein Bohnet. Josef trat ein. Er erblickte die reglos daliegende Gestalt. Da ihm Fräulein Bohnet viel von ihrem Schreckensnachbarn erzählt hatte, konnte er sich eins und eins zusammenzählen. Und er verstand.
Mit einer einzigen kraftvollen Bewegung schnappte er sich sein geliebtes Fräulein Bohnet und trug es auf seinen starken Armen ins kleine schlichte Schlafgemach. Dort angekommen legte er sie, klein und zerbrechlich wie sie war, vorsichtig ins schmale Bett und umfing sie zärtlich.

Das war eine der glücklichsten Stunden im Leben des Fräulein Bohnet.

Und das Maunzerle? Das verspeiste den Horrorfränk mit Haut und Haaren. Genießerisch leckte es sich danach das Mäulchen. Satt wie es war, hielt es anschließend ein Schläfchen.

 

  1. Kapitel

Die Jahre vergingen. Fräulein Bohnet war inzwischen umgezogen. Sie wollte die Erinnerungen an Horrorfränk loswerden, was ihr auch gelang. Da er ein recht unangenehmer Zeitgenosse gewesen war, vermißte ihn niemand. Immer noch wusch sie sich ihre Haare mit kaltem Wasser. Das Maunzerle war inzwischen verstorben. Eines Tages setzte es sich wie immer abends auf den Schoß des Fräuleins und sah es unverwandt mit seinen treuen Augen an. Alles Wissen schien darin zu liegen. Doch allmählich verlor sich der Glanz in Maunzerles Augen. Da wusste Fräulein Bohnet, dass es soeben gestorben war. Ruhig trug sie es nach draussen in den Garten und begrub ihr geliebtes Tier unter einer alten Buche. Danach ging sie ins Haus zurück und wusch ihre Haare mit kaltem Wasser.

In den folgenden Tagen fühlte sie sich verloren und sehr einsam. Kein Maunzerle mehr. Und auch ihr nächtlicher Freund Josef blieb verschwunden. Nach jener Liebesnacht war er gegangen. Er schrieb ihr etwa noch ein halbes Jahr E-Mails. Dann kam auf einmal nichts mehr. Nie wieder hörte sie etwas von ihm, erfuhr auch nicht den Grund seines ewigen Schweigens. Hätte sie ihre Arbeit bei ihrem freundlichen Chef, dem Rechtsanwalt, nicht gehabt, sie wäre verrückt geworden. Kurz erwähnte sie einmal bei ihm wegen ihrer zwischenzeitlichen Zerstreutheit ihren Liebeskummer und den Verlust ihrer Katze. „Fräulein Bohnet ist verliebt! Fräulein Bohnet ist verliebt!“, riefen die gerade mal wieder anwesenden Kinder. Übermütig tanzten sie um Papas Schreibtisch herum.

„Laßt das Fräulein in Ruhe“, mahnte dieser. „Sie werden schon darüber hinwegkommen. Holen Sie sich doch eine neue Katze“, munterte er seine Sekretärin auf. „Machen Sie für heute Feierabend“, forderte er sie weiter freundlich auf. Fräulein Bohnet packte ihre blaue Brotbüchse in ihre schmale Aktentasche und verließ die Kanzlei.

Bei sich zu Hause angekommen wusch sie sich ihre Haare mit kaltem Wasser. Abends nahm sie wieder mit ihrer leisen Stimme am Chorsingen teil wie immer. Wie immer trank sie hinterher mit den anderen ein Bier in der Stammkneipe. Und wie immer ging sie als erste nach Hause.

Doch alles machte ihr keine Freude mehr. Auf dem dunklen Nachhauseweg versank sie in einen grenzenlosen Kummer. Ihr grauste vor dem Moment, wenn sie die Tür aufschloss und eine leere Wohnung sie erwartete.

Leise seufzend erreichte sie das Haus, in dem sie wohnte, holte ihren Schlüssel heraus und steckte ihn in das Haustürschloss. In diesem Moment vernahm sie ein leises jammervolles Maunzen direkt vor ihren Füßen. Erstaunt blickte sie nach unten. Ein winzig kleines dürres Kätzchen lag auf der Schwelle jämmerlich hingestreckt zitternd vor Kälte und Hunger. Irgendjemand hatte es dort abgelegt, der es nicht mehr haben wollte, dem es gleichgültig war, ob das kleine Wesen verreckte oder sich jemand seiner erbarmte.

Vorsichtig hob Fräulein Bohnet das zitternde Etwas auf. Behutsam nahm sie es in ihre Arme. Jeden Knochen des dünnen Körperchens spürte sie in ihren Händen. „Nanu, du riechst ja so seltsam nach süßem Parfüm“, wunderte sie sich. In ihrer Wohnung angekommen knipste sie das Licht an. Das frierende Kätzchen bettete sie auf ein gut gepolstertes Sofakissen. Sie holte Futter aus dem Küchenschrank, das sie noch vom Maunzerle aufbewahrt hatte. Wasser holte sie auch aus der Küche. Vorsichtig um das verängstigt maunzende Tier nicht zu erschrecken, setzte sie sich aufs Sofa, legte sacht das Katzenbaby in ihre linke Armbeuge und gab ihm zu essen und zu trinken. Man konnte zusehen, wie sich das ausgehungerte Tierchen allmählich beruhigte, wie wohl ihm die Wärme in des schmalen Fräuleins Armen tat. Leise schmatzend aß und trank es. Ein wenig gewann es schon an Kraft. Schon während des Essens und Trinkens schlummerte es in Fräulein Bohnets Armen ein, die Äuglein fest geschlossen. Das Näschen zitterte ein ganz klein wenig diesmal aber vor Behagen.

Das Fräulein schlummerte ebenfalls ein, während sie das kleine Bündel in ihren Armen spürte, dessen Leben nun in ihr in des guten Fräulein Bohnets Händen lag. Es war als wäre ein Lichtstrahl direkt in ihr Herz gedrungen.

Früh am nächsten Morgen erwachte sie etwas verwirrt. Wieso lag sie nicht in ihrem Bett? Und was lag da dicht an sie gekuschelt? Dann fiel ihr alles wieder ein. Tatsächlich hatte sie mit ihrem kleinen Findling die ganze Nacht auf dem Sofa geschlafen. Nun konnte sie das noch schlafende Katzenkind in Ruhe betrachten. Es war ohne Zweifel ein kleiner Kater. Er konnte höchstens drei Monate alt sein. Wie klein und schmächtig war er. Hübsch war er der kleine Kerl. Sein Fell war dunkelgrau mit etwas Silber drin, was ihm einen kostbaren Glanz verlieh. Jetzt schlug er die Augen auf und sah seine Retterin an. Ein bisschen sahen sie aus wie Maunzerles Augen so klug und tiefgründig. Aber im Gegensatz zu Maunzerles grünen Augen waren seine Augen von einem warmen Gelb und hatten stets einen goldenen Schimmer. Es war jetzt schon klar, dass er sich eines Tages zu einer Schönheit entwickeln würde. Behaglich wälzte er sich auf den Rücken, schnappte spielerisch nach des Fräuleins Hand und knabberte daran. „Du bist ja ein richtiger kleiner Filou“, lächelte Fräulein Bohnet. Erstaunt stellte sie fest, daß sie bereits einen Namen für ihn  hatte: Filou.

„Ich muß jetzt zur Arbeit“, flüsterte sie dem kleinen aufmerksamen Kater ins Ohr. „Warte hier auf mich. In ein paar Stunden bin ich wieder da.“ Sie ließ ihm genug Futter und Wasser da, machte sich zurecht, wusch ihre Haare mit kaltem Wasser und verließ anschließend mit ihrer schmalen Aktentasche mit der blauen Brotbüchse drin das Haus. Die Haustüre schloss sie sorgsam ab.

Jetzt allein in der Wohnung wurde dem Katerchen etwas bänglich, hatte er doch einige schlimme Erfahrungen hinter sich, die er dem Fräulein ja nicht mitteilen konnte. Aber vielleicht ahnte sie etwas, denn sie hatte sehr fein ausgestattete Sinne.

Filou war im Alter von nur zwei Monaten von einer Züchterin an einen Mann verkauft worden zusammen mit seiner kleinen Schwester Mia silbergrau wie er und bildhübsch. Beide waren noch ausgesprochen winzig. Der Mann hatte auf die Züchterin einen verläßlichen Eindruck gemacht. Deswegen dachte sie, dass es die beiden Geschwister bei ihm guthaben würden. Dem war aber nicht so. Der Mann war Doktor der Zahnmedizin und hieß Herr Tänzer. Der Name passte zu ihm, denn er tänzelte herum, wo er ging und stand. Er trug schwarze Schuhe, die vorne spitz zuliefen. Außerdem trug er einen schwarzen enganliegenden Anzug. Nur sein Hemd war weiß. Die Krawatte war aber schon wieder schwarz. Sie war so fest an seinem Hals zugebunden, dass darüber der ziemlich große Kehlkopf hervorquoll. Herr Tänzer war sehr dünn. Seine Stimme war für einen Mann erstaunlich hoch und fistelig. „Willkommen hier bei mir in meinem Haus“, surrte er die beiden Katzenbabys an. „Wenn ihr spurt, wird es euch hier gut gehen. Essen gibt es alle drei Tage, damit ihr nicht zu fett werdet“, sprach der dürre Herr Tänzer. Er hüpfte durch die Wohnung. Der Kehlkopf hüpfte mit. „Holla, holla“, rief er. Er nahm einen kleinen Spielball und warf ihn durch die peinlich aufgeräumte Wohnung. „Holla. Holt den Ball, ihr zwei faulen Katzen. Was? Ihr wollt nicht? Dafür gibt es das und das.“ Er versetzte den beiden Kätzchen mit seinen spitzen Schuhen schmerzhafte Tritte. Angstvoll flohen sie unter das weiße unbefleckte Sofa und verhielten sich mit klopfendem Herzen so still wie möglich. „Euch kriege ich noch. Spätestens wenn ihr Hunger habt, ihr zwei Freßschweinchen.“ Er nahm eine große Flasche Parfüm und sprühte es unter das Sofa. „Damit ihr gut riecht“, lachte er böse. „Trallala, trallala, holla, holla“, sang er mit seiner unnatürlich hohen Stimme und tänzelte weiter durch die Wohnung. Immer wenn er mit seinen  spitzen Schuhen auf den Fußboden aufkam, klackerte es metallisch.

Das Leben der beiden Katzenkinder war die Hölle. Sie wurden getreten, sobald sie etwas machten, was Herrn Tänzer nicht paßte, bekamen kaum was zu essen und wurden regelmäßig mit Parfüm eingesprüht. Manchmal zog er ihnen ein Halsband um den Hals. Dabei zog er es so fest zusammen, dass sie kaum mehr Luft bekamen.

Eines Tages versuchte Filou nach solch einer Fußtrittattacke sich und seine kleine Schwester Mia zu verteidigen. Er biss in den spitzen Hintern von Herrn Tänzer. Vor Wut blutrot im Gesicht schnappte sich der böse Mann den mutigen kleinen Kater, lief einige Straßen entlang kreuz und quer, wobei er das hilflose Tier brutal  am Schwanz hochhielt und schleuderte ihn schließlich in hohem Bogen durch die Luft. Es interessierte ihn gar nicht, wo der Kleine landete. Herr Tänzer machte kehrt und ging nach Hause, wo ihm von nun an die arme kleine Mia ohne den Schutz des Bruders hilflos ausgeliefert war. Der aber landete zum Glück unversehrt genau auf der Schwelle von Fräulein Bohnets Haustür nicht ahnend, welch  großes Glück das für ihn bedeutete.

  1. Kapitel

In den nächsten Wochen und Monaten wuchs und gedieh Filou prächtig unter der fürsorglichen Pflege von Fräulein Bohnet. Auch das Fräulein blühte sichtlich auf. Sie sang im Chor etwas lauter als sonst, sodass der Chorleiter ab und zu überrascht und anerkennend zu ihr hinguckte, denn sie hatte wirklich eine hübsche Altstimme. In der Stammkneipe redete sie nun etwas mehr mit den anderen nicht sehr viel aber immerhin. Von ihrer Art her war sie eben zurückhaltend und etwas schüchtern. Deswegen ging sie nach wie vor als erste nach Hause. Nun wußte sie, daß sie erwartet wurde. Daheim angekommen hörte sie schon mit einem seligen Gefühl, wie von innen an der Tür gekratzt wurde. Kaum saß das Fräulein auf dem Sofa, schlüpfte Filou rasch auf ihren Schoß, rollte sich zusammen, schmiegte seinen runden Kopf an ihre Beine und schnurrte. Was für eine wunderbare Behaglichkeit! Es hätte für sie ewig so weitergehen können. Wenn sie sich ihre Haare mit kaltem Wasser wusch, stellte sich der Kater neben sie und guckte interessiert zu. Manchmal bekam er ein paar Spritzer ab und flitzte daraufhin zurück ins Wohnzimmer.

Doch er war nicht nur verschmust und anschmiegsam. Er hatte auch eine andere Seite. Das bekam Fräulein Bohnet zu spüren mit jedem Tag, den er älter wurde. Diese andere Seite von Filou war wild, freiheitsliebend bis zur Zügellosigkeit, wenn er sie nicht befriedigen konnte. Er wollte raus! Raus in den nahegelegenen Wald, der hinter dem Haus in dem das Fräulein wohnte, hinter den angrenzenden Feldern recht bald begann. Da sie es nicht wagte das ungebändigte Tier aus Sorge um ihn raus zu lassen, da genug Gefahren draußen drohten, tobte sich Filou in ihrer Wohnung aus. Sein Körper war jetzt stark und kräftig. Das Fell sprühte im silbergrauen Glanz. Sein Kopf mit den breiten Backen war herrlich groß und rund. Die Augen leuchteten in goldgelbem Glanz. Der ganze Kater war von ausgesprochener Schönheit. Wie sanftmütig konnte er gucken! Aber auch wie finster und streng. „Der Herr der Finsternis“, so nannte ihn manchmal das Fräulein für sich, wenn er so guckte.

Oft wußte er nicht, wohin mit seiner Kraft. Dann hangelte er sich am Bücheregal hoch, riß ein Buch nach dem anderen heraus und begann sie in unmäßiger Wut zu zerfetzen. Wut deshalb, weil er seiner ungeheuren Energie hilflos ausgeliefert war, seinem Lebenshunger, seiner Lebenskraft.

Es gelang dem Fräulein nicht, ihn zu besänftigen oder ihn zu bändigen. Nicht mit sanften Ermahnungen, nicht mit gutem Essen oder besonderen Leckereien. Manchmal tobte er so ungeheuerlich durch das Wohnzimmer, dass sie voller Schrecken die Tür schloss, ins Badezimmer ging und sich die Haare mit kaltem Wasser wusch. Fräulein Bohnet mußte es sich eingestehen. Sie wurde nicht Herr über ihren geliebten Filou. Er quälte sich, kam sich gefangen vor. Sie wußte, daß sie ihn nicht halten konnte. Und so öffnete sie eines Nachts, als er wieder in diesem ungezügelten Zorn durch die Wohnung jagte, mit einem tiefen Seufzer weit das Fenster im Wohnzimmer. Verblüfft hielt das rasende Tier für einen Moment inne. Für eine Sekunde stand er auf einmal ganz ruhig da. Er wandte den edlen Kopf und sah das Fräulein an. Sie konnte den Blick nicht deuten. Das Finstere, Strenge lag darin, eine große Entschlossenheit und etwas, was nicht zu deuten war, etwas Rätselhaftes, was nur den Tieren zu eigen ist und ein ewiges Geheimnis bleiben wird.

Der Moment der Ruhe war jäh vorbei. Mit einem einzigen Sprung stand Filou auf dem Fensterbrett. Und dann sprang er mit einem riesigen Satz durch das geöffnete Fenster hinaus in die Freiheit, warf sich mit einer kraftvollen anmutigen Bewegung zur Seite, jagte über den schmalen Rasen hinter dem Haus dahin und verschwand als ein großer grauer Schatten im Wald, der ihn schweigend in sich aufnahm.

Lange stand Fräulein Bohnet da und sah ihm dahin nach, wo er verschwunden war. Sie hatte ihm das geschenkt, was er am meisten liebte, was er am meisten brauchte: Seine Freiheit. Was aber wurde jetzt mit ihr? Noch einmal würde sicherlich kein kleiner Kater auf der Schwelle ihrer Haustür liegen. Es gab auch schon lange keinen Josef mehr, dem sie ihre Einsamkeit anvertrauen konnte, in dessen weiten grauen Mantel sie sich einhüllen, sich geborgen fühlen konnte. Wieder seufzte sie tief auf und schloss das Fenster. Sie ging durch ihre leere Wohnung ins Badezimmer und wusch sich dort ihre Haare mit kaltem Wasser.

  1. Kapitel

Während Fräulein Bohnet endlich in einen unruhigen Schlaf fand, aus dem sie immer wieder aufschreckte, lief Filou ziemlich verwirrt durch den fremden Wald. Die plötzliche Freiheit erschreckte ihn. Es wäre ein leichtes für ihn gewesen zurückzukehren in des Fräulein behagliche Wohnung, sich wieder verwöhnen und es sich gutgehen zu lassen. Doch zu groß war seine Neugier auf all das unbekannte, das ihn erwartete. Wie unheimlich und fremd waren die nächtlichen Geräusche im Wald. Eine Eule schrie. Kleine und große Tiere huschten an ihm vorbei durch das raschelnde Laub.

Filou lief und lief durch dichtes undurchdringliches Gestrüpp, vorbei an hohen ernsten Bäumen. Er überquerte Lichtungen, die sich auf einmal vor ihm auftaten. Dann wieder schloß sich der dichte Wald um ihn. Schließlich wurde er müde. Die vielen fremden Eindrücke in dieser Nacht überwältigten ihn. Unter einer besonders starken dicken Eiche legte er sich nieder, kuschelte sich eng an ihren kräftigen Stamm. Dort schlief er ein, während ihre dichten Zweige beschützend mit leisem Knacken über ihm hingen.

Während Filou im tiefen dunklen Wald unter der Eiche schlief, warf sich Fräulein Bohnet zu Hause in ihrem Bett hin und her. Die Sorge um den geliebten Kater ließ sie kaum zur Ruhe kommen. Immer wieder tastete sie im Halbschlaf auf ihrer Bettdecke nach ihm, der normalerweise dort eingerollt selig schlummerte. Sie tastete nach der kleinen warmen Kuhle, die er hinterließ, wenn er zwischendurch seine kurzen nächtlichen Spaziergänge durch die Wohnung machte. Sie lauschte nach der Tür, ob sie da etwa ein Kratzen vernehmen würde. Aber da war nichts. Kein Fell, keine Kuhle, kein Scharren und Kratzen.

Dafür hörte Fräulein Bohnet wummernde Musik, kreischende Stimmen, Geschrei und Türenschlagen von oben. Das waren über ihr die vor kurzem eingezogenen neuen Nachbarn, die fast noch schlimmer waren als seinerzeit Horrorfränk. Es war ein junges Pärchen laut, frech und rücksichtslos. Fräulein Bohnet seufzte. Insgeheim nannte sie die beiden Herr und Frau Horrorfränk. Unten hörte sie ihren anderen Nachbarn husten. Christoph hieß er. Laut und gequält klang sein Husten. Er fing immer an zu husten, wenn er Sorgen und Druck bei seiner Arbeit hatte. Neben ihm wohnte Maria. Vor kurzem hatte sie ihren Mann durch einen Autounfall verloren. Oft hörte das Fräulein sie nachts weinen so auch jetzt. Gegenüber von Maria wohnte die ewig mißmutige Renate. Jeden Abend pünktlich um 18 Uhr 30 Uhr ließ sie ihre sämtlichen Rollos mit lautem Getöse runterkrachen, bis man von ihr nichts mehr sah. Eine Stunde später um sieben Uhr ließen alle anderen Nachbarn ebenfalls die Rollos runter rasseln, als ob sie von ihr angesteckt würden. Nachts hörte man von der Renate lediglich ein unterdrücktes Schnarchen. Dann gab es noch den Hausmeister. Der war einsam, seitdem ihn seine Freundin erst betrogen und schließlich verlassen hatte. Seitdem beruhigte er sich jeden Abend mit viel Bier und schlief irgendwann am Tisch sitzen ein, während sein Kopf auf die Tischplatte plumpste. Er träumte von seiner untreuen Freundin, von den Blättern, die er am nächsten Tag zusammenfegen würde und den Mülltonnen, die er kontrollierte. Neben dem Fräulein wohnte ein sehr netter Herr, Leo, der aber fast  nur schlief. Nur nachts war er wach. Dann sah das Fräulein einen schwachen Lichtschimmer in ihr Schlafzimmer leuchten. Mit offenen Augen lag das Fräulein da. Sie lauschte dem lauten Getöse von den Horrorfränks, dem anhaltenden Husten vom nervösen Christoph, dem Schnarchen von der schlechtgelaunten Renate, dem Weinen von Maria und dem Plumps von des unglücklichen Hausmeisters Kopf auf den Tisch und sie sah den beruhigenden Lichtschimmer vom Nachbarn Leo, der jetzt wach war. Über all dem fühlte sie die schmerzende Sehnsucht nach ihrem wilden und zugleich sanftmütigen Kater Filou, der gerade unter einer fremden Eiche schlief und von ganz anderen Geräuschen umgeben war. Würde sie ihn jemals wiedersehen? Was tat er? Wie ging es ihm? Würde er seine so dringend ersehnte Freiheit überleben? Was für eine peinigende Ungewißheit! Mit diesen sorgenvollen Gedanken schlief das Fräulein schließlich ein umtost von den Tönen und Klängen der Nachbarn.

  1. Kapitel

Während das Fräulein unruhig schlief, schlummerte Kater Filou selig unter der Eiche. Obwohl seine erste Nacht im fremden Wald völlig neu für ihn war, führte ihn sein Instinkt während seines Schlafs weit zurück in die Zeit seiner Urahnen, die noch weit weg von der menschlichen Zivilisation ihr ungebundenes freies Leben führten. Er erkannte seine Urgroßeltern Alwina und Casanova. Hoch oben in der breitgefächerten Krone der Eiche, unter der Filou träumte, lagen sie weit ausgestreckt als zwei riesige graue Schatten da, deren gelbe Augen den Träumenden scharf und aufmerksam beobachteten. Ein tiefes warmes Grollen drang aus ihrer Brust. Damit grüßten sie den fernen Nachfahren, der unter ihnen schlummerte.

Er erwachte noch ehe die Sonne aufging. Dichte Nebelschwaden zogen über die Bäume dahin und verbargen ihre Kronen, sodaß man meinen könnte, sie hätten gar keine. Doch verschwand der Nebel mit einigem Zögern und gab die hohen, stolzen Wipfel der Bäume allmählich frei. Filou dehnte und streckte sich. Er gähnte. Die Vögel zwitscherten. Eine Maus huschte durchs Unterholz. Filou machte nur einen einzigen Satz, holte mit seiner Pfote aus und sein erstes Frühstück im Freien war ihm sicher. Er war der geborene Jäger: Schnell, reaktionsstark und mutig. Aber er konnte auch ein Beschützer sein. Viele Gaben waren ihm zu eigen.

Nach der kleinen Mahlzeit, die ihn jedoch genügend gesättigt hatte, unternahm er  seinen ersten Erkundungsausflug. Geräuschlos schlich er über den weichen Waldboden. Instinktiv vermied er jegliches verräterisches Rascheln und Knacken. Wenn er in dieser Wildnis überleben wollte, mußte er klug und wachsam sein. Plötzlich bemerkte er eine Bewegung. Sofort blieb er mucksmäuschenstill stehen. Er rührte sich nicht, beobachtete nur. Mit einem Mal brach unter den dichten Tannen vor ihm eine Herde Rehe hervor. Sie schienen in großer Angst zu sein. Vor irgendetwas ergriffen sie die Flucht. Gleich darauf entdeckte Filou auch, vor wem sie in derartiger Panik flohen. Ein Rudel Wölfe verfolgte sie mit heißerem Heulen. Weit rissen sie die Mäuler auf mit gefährlich gefletschten Zähnen. Erstarrt stand der überraschte Kater da. Sowas hatte er noch nicht gesehen. Staunend betrachtete er die davon hetzenden Rehe und das ihnen nachjagende Wolfsrudel angeführt von einem mächtigen Rüden Darius mit Namen. Auf einmal gewahrte Filou etwas winzig kleines, das zwischen den fliehenden Rehen umherlief und verzweifelt versuchte mit ihnen Schritt zu halten. Was war das nur? Es war klein, grau. Vertraut schien es ihm irgendwie. Plötzlich sprang das graue Bündel auf den Rücken des Leithirschen, der die Herde versuchte in Sicherheit zu bringen, was aber aussichtslos schien. Jetzt erkannte Filou das fellige Bündel. Es war niemand anderes als Mia! Seine kleine Schwester Mia saß da auf dem Rücken des gewaltigen Hirsches, der sie bis dahin mitsamt seiner ihm anvertrauten Herde beschützt hatte nun aber, überfordert von der lebensbedrohlichen Lage, nervös abwarf. Hilflos purzelte das Kätzchen herunter. Seine kleine Schwester Mia war in Gefahr. Filou mußte sie retten. Kein anderer Gedanke existierte in seinem Kopf.

Ein wildes tiefes Grollen drang aus seiner breiten Katzenbrust. Wut stieg in ihm auf. Wut auf den Anführer Darius und seine Bande, die mordlüstern die Rehe verfolgten und auch Mia nicht verschonen wollten. Filous Körper schien um das Dreifache zu wachsen. Sein ohnehin buschiger Schwanz wurde noch länger und gewaltiger. Dann brach er mit einem wilden Urschrei aus seinem sicheren Versteck unter den Bäumen hervor. Einen Moment stand der schöne starke Kater reglos da. Groß und machtvoll. Sein Blick finster und streng. Zu allem entschlossen stand er da. Jeden der seiner Schwester Mia zu nahe kommen würde, würde er das Grausen lehren. Die Rehherde und das Wolfsrudel waren so überrascht, daß auch sie reglos stehen blieben und den fremden großen Kater anstarrten, der sie mit gnadenloser Strenge musterte. Ein ängstliches Miauen war zu vernehmen. Das war Mia.

In Filou kam Bewegung. Mit einigen riesigen Sätzen jagte er durch die Bäume, sprang über Baumwurzeln und Farnsträucher, bis er Mia erreichte, die zitternd unter dem Leithirsch kauerte. Schon wollte der Kater seine kleine Schwester vorsichtig mit seiner Schnauze hervorziehen, da ertönte dicht hinter ihm ein heiseres zorniges Knurren. Darius stand dicht hinter ihm. Der Leitwolf machte unmißverständliche Anstalten, Kater Filou mit seinem weit aufgerissenen Maul und mit seiner mächtigen Wolfspranke zu zerfetzen und zu töten. Filou schnellte herum. Mit beiden Vorderpfoten umkrallte er den verblüfften Darius und umschloß so fest seinen Hals, daß es ihm unmöglich war, sich daraus zu befreien. Zu stark, zu fest war dieser Griff. Mut, Angst um das Leben seiner Schwester und ohnmächtiger Zorn verliehen dem Kater diese ungeheure Kraft. Darius fing an in Filous scharfkralligen Pfoten hin und her zu zappeln. Er begann zu röcheln. Unterdessen lief sein Rudel ziellos hin und her, denn ohne ihren Anführer fühlten sich sich geschwächt und verunsichert. Darius war kurz davor, sein Leben auszuhauchen. Er hörte auf zu kämpfen. Er sackte in Filous unerbittlichen Pfoten zusammen. Er heulte kurz mit hoher Stimme auf. Das bedeutete, daß er sich ergab und Filou als Sieger anerkannte, daß er in Zukunft seine Rolle als Anführer der Wölfe aufgab. Ab jetzt überließ er Filou diesen Posten. Filou gab ihn frei. Schnaufend ging Darius, der einstmals so mächtige Leitwolf, zu Boden. Jämmerlich zusammengerollt lag er vor dem Kater. Der schnappte sich als erstes seine kleine Schwester Mia und setzte sie sich auf seine Rücken. Das Rudel Rehe ließ er unbehelligt, war er doch den anmutigen Tieren auf ewig zu Dank verpflichtet. Sie hatten Mia aufgenommen ohne wenn und aber. Vor jeglichem Unheil hatten sie sie zu schützen versucht.

Mit schnellen selbstbewußten Sätzen sprang Filou zu dem wartenden Wolfsrudel hin. Mit dem Stolz des Siegers stellte er sich vor sie hin. Zum ersten Mal in der Geschichte der Wölfe würde der Leitwolf kein Wolf sein sondern ein wehrhafter Kater. Jeden einzelnen der Wölfe traf sein strenger und unerbittlicher Blick. Jeder einzelne von ihnen wußte, wenn er nicht spurte, würde er von seinem neuen Anführer Filou verstoßen werden ohne jede Gnade, denn das war Fräulein Bohnets Kater Filou nun für alle Zeiten: Der neue Anführer der Wölfe.

Er. Filou. Der Herr der Finsternis.

  1. Kapitel

Als Fräulein Bohnet früh am nächsten Morgen erwachte, war über ihr Krach und Geschrei wie eh und je. Herr und Frau Horrorfränk schlugen sich wohl wieder die Köpfe ein. Seufzend erhob sie sich aus ihrem Bett. Seufzend ging sie ins Badezimmer. Dort wusch sie sich ihre Haare mit kaltem Wasser. Ein warmer Zigarettenduft wehte durchs halbgeöffnete Badezimmerfenster zu ihr herüber. Der kam von Leo und machte den Lärm von oben irgendwie erträglicher. Gemütlich schmauchte der sein Zigarettchen, bevor er sich schlafen legte. Sie hörte Herrn Arcurri einen weiteren Nachbarn von gegenüber laut schimpfen. Er regte sich ständig auf, wenn jemand falsch parkte oder nicht die Treppe putzte. Unten fuhr laut knatternd Nachbar Sebastian vom Dachgeschoß sein Motorrad an eine andere Stelle. Er kam von der Nachtschicht, denn er war Rettungssanitäter. Das Motorrad stand nun richtig. Das Knattern hörte auf. Auch das Schimpfen ließ nach. Blieb nur zu hoffen, daß die Treppe geputzt wurde. Fräulein Bohnet putzte regelmäßig die Treppe. Dazu benutzte sie kaltes Wasser. Oben das Geschrei ließ leider nicht nach. Fräulein Bohnet verließ bald das Haus. Sie mußte ja zur Arbeit. Nun graute ihr wieder vor dem Nachhausekommen, denn sie fürchtete die Einsamkeit. Nun gab es keinen Filou mehr. Und wo war Josef? Warum blieb er verschwunden?

Doch abends erlebte sie eine Überraschung. Als sie gegen 18 Uhr nach Hause kam, die Rollos waren noch oben, stand eine silbergraue Katze auf der Schwelle ihrer Haustür. Diesmal war sie nicht klein und schwach. Diesmal war sie groß, sehr groß und kräftig. Die goldenen Augen leuchteten im halbdunklen Abendlicht. „Filou“, flüsterte das Fräulein glücklich. Er war es in der Tat. Aber wie sah er aus! Fell war an seiner rechten Seite herausgerissen. Die Pfoten waren blutig. Das ganze Tier war gezeichnet von einem schrecklichen Kampf. Da war noch etwas! Etwas kleines Graues saß auf dem Rücken des Heimkehrers. Eine zweite Katze! Sie sah Filou so ähnlich. Fast konnte sie seine Schwester sein, dachte das Fräulein. Behutsam nahm sie das magere Kätzchen in ihre Hand und bettete es auf ihrem Arm wie seinerzeit den Kater, als er auch so klein und abgemagert war.

„Da ist ja der Ausreißer“, rief jemand. Das war Renate. Trotz ihrer Knurrigkeit liebte sie die Tiere. Sie freute sich Filou wiederzusehen, denn sein Verschwinden war in der Nachbarschaft sofort aufgefallen. Der schöne sanfte Kater erfreute sich allgemeiner Beliebtheit. „Ganz schön zerrauft sieht er aus. Ich werde ihn mir gleich ansehen“, meinte Rettungssanitäter Sebastian, der ebenfalls aufgetaucht war. Erstaunt wandte sich Fräulein Bohnet um. Alle Nachbarn standen um sie rum und um die beiden Ausreißer. Sebastian desinfizierte erstmal Filous Wunden. „Wo hat er bloß gesteckt?“, wunderte sich Maria. „Und woher kommt die kleine Katze?“, wunderten sich alle. „Darf ich sie mal nehmen?“, fragte Maria. Sie durfte. „Vorsicht wenn Sie die Treppe hochgehen, daß Sie nicht mit ihren Katzen ausrutschen“, warnte Herr Arcurri das Fräulein Bohnet besorgt. „Ich habe die Treppe eben geputzt. Zum Glück haben Sie ja nur wenige Stufen zu gehen.“ „Der Kater wird seine Wunden schon überleben. Schließlich ist er nicht aus Pappe“, meinte Leo. Er zündete sich in aller Ruhe eine Zigarette an. „Von wo hat er nur die kleine Katze mitgebracht?“, wunderte sich der Hausmeister erneut. Er trank einen Schluck aus seiner Bierflasche, die er mitgebrachte hatte. „Mir fehlen drei Promille“, scherzte er mit ernster Miene. „Darf ich auch einen Schluck?“, fragte Christoph. „Ich habe so einen Hustenreiz.“ Ganz oben hörte man wüstes Geschrei. „Ach die schon wieder“, stöhnten alle. „Geh mal hoch und sorg für Ruhe, Filou“, scherzte Leo. Er zündete sich eine weitere Zigarette an. Filou schnurrte. Er ließ sich genüßlich von allen streicheln. Mit sanften goldenen Augen blickte er sie an.  „ Was für ein Schmusekater“, meinten sie. Wenn die wüßten! „Aber woher kommt nur die kleine Katze?“, wunderten sich die Nachbarn wieder und immer wieder. Dann wünschten sie sich gegenseitig eine gute Nacht. Fräulein Bohnet ging ebenfalls in ihre Wohnung. Sie trug die kleine Mia. Filou lief hinter ihr her. Alle drei machten es sich auf dem Sofa gemütlich aßen und tranken. Wie glücklich war das Fräulein, daß Filou zurückgekehrt war und sie noch mit einer weiteren Katze bereicherte, die ihre Hilfe brauchte. Wo aber kam sie her? grübelte das Fräulein. Was hatte sie erlebt?

  1. Kapitel

Nachdem Filou von Herrn Tänzer weggeschleudert worden war, hatte sich Mia angstvoll zitternd unter das weiße Sofa in die hinterste Ecke verkrochen. Doch sobald ihr Peiniger zurückgekehrt war, schnupperte er geräuschvoll mit seiner langen dünnen Nase in der Luft herum, wo es nach Parfüm riechen könnte und zog mit seinem rechten dürren Arm das verängstigte Kätzchen unterm Sofa hervor. „Holla, holla, trallala“, sang er böse. Er hielt Mia hoch. Ein gluckerndes Lachen drang aus dem  zusammengequetschten Kehlkopf. „Heute setzen wir dich auf Diät, du fettes Freßschweinchen“, näselte er mit seiner Frauenstimme. Er schwang die abgemagerte kleine Katze hin und her. „Dafür gibt’s ein schmuckes Halsband schön eng um den Hals gewickelt. Das nimmt das Hungergefühl.“ Sogleich setzte er in den höchsten Tönen singend und durch die Wohnung tänzelnd seine Ankündigung in die Tat um. Mia hatte ohne ihren großen Bruder überhaupt keine Chance. All das Leid mußte sie von dem bösen dünnen Mann ertragen. Wie eng schnürte sich das Halsband um ihren zarten Hals.

Nun war es aber so, daß der Herr Tänzer nicht nur böse war, sondern auch ausgesprochen faul. Er war viel zu bequem um seine Wohnung sauber zu halten. Putzen fand er unter seiner Würde, war er doch Doktor der Zahnmedizin, was ihn keineswegs zu einem besseren Menschen machte. So suchte und fand er nach einiger Zeit mit Hilfe eines Zeitungsinserats ein junges Mädchen, das dringend Geld brauchte, da sie zu Hause eine Menge jüngerer Geschwister hatte und ihre berufstätige Mutter dringend Geld benötigte. Sie bekam nur den Mindestlohn. Der Vater hatte sich inzwischen, überfordert von der großen Familie, aus dem Staub gemacht. So verrichtete das junge Mädchen nach der mittleren Reife jede Arbeit, die ihr angeboten wurde. Luise hieß sie. Sie wurde von allen die gute Luise genannt, weil sie von Herzen gut war. Es stand ihr in dem zarten blassen Gesicht geschrieben mit den gütigen blauen Augen. Sie hatte feines blondes Haar, das sie zu einem weichen Zopf geflochten bis zu den schmalen Schultern reichend trug. Sie war nicht gerade hübsch, doch waren ihre Gesichtszüge von solcher Sanftmut, jede ihrer Bewegungen derartig anmutig, daß sie trotzdem eine Schönheit zu nennen war. Eine Schönheit die von innen kam.

Luise begann also ihren Dienst bei Herrn Tänzer. Sie putzte, fegte und staubsaugte, kaufte ein, kochte, wusch und bohnerte mit großem Fleiß, während der Doktor nebenan in den sterilen Praxisräumen den vertrauensvollen Patienten in den Zähnen rumwurschtelte, denn ein besonders fähiger Zahnmediziner war er nicht. Da gab es andere. Am Monatsende trug das fleißige junge Mädchen das nicht sehr üppige Gehalt des gutverdienenden Zahnarztes nach Hause. Wen wunderts. Der Tänzer war natürlich geizig. Er konnte keine einzige Eigenschaft sein eigen nennen, die irgendetwas mit Anstand zu tun hatte. Zu Hause fielen die Mutter und die acht Geschwister der guten Luise um den Hals. „Was wären wir ohne dich“, sagte ihre Mutter leise mit Tränen in den Augen.

Nicht nur Mia auch die gute Luise hatte unter den Launen und Bösartigkeiten ihres Chefs zu leiden. Oft überlegte sie zu kündigen. Bei ihrem Fleiß hätte sie schnell eine andere Arbeit gefunden. Doch sie bekam die ganzen Widerwärtigkeiten mit, die Doktor Tänzer der kleinen zierlichen Katze antat. Sie litt mit dem Tier mit. Sein Leiden betrübte sie zutiefst. Wenn der Doktor drüben in der Praxis war, lockerte sie das straff gezogene Halsband an Mias Hals, das er der Mia jetzt nie mehr abnahm. Wenn sie es der kleinen Katze ganz abgenommen hätte, wäre das für Mia schlecht ausgegangen. Der Tänzer hätte ihr noch mehr Leid zugefügt.

Eines Tages war es besonders schlimm. Der Zahnarzt kam verärgert aus seiner Praxis, weil ihn ein Patient als Stümper bezeichnet hatte. „Schon zum dritten Mal ist mir ein und dieselbe Krone aus dem Mund gefallen, Sie Stümper“, hatte der Patient zornig zwischen den Zähnen hervorgezischt, während ihm noch allerlei Gerätschaften im Mund herumhingen. „Ich suche mir einen anderen Zahnarzt“, schimpfte er weiter, holte sich alles, was nicht in seinen Mund gehörte selber raus und verließ die Praxis. Die schloß der zu recht Gescholtene vorzeitig, ging rüber in seine angrenzende Wohnung  und ließ seine ganze Wut an der kleinen Mia aus. Er schlug und trat auf sie ein, hetzte sie durch die ganze Wohnung, während er dazu mit böser Stimme „Holla, holla, trallala“ sang. Mit seinen dürren Beinen tänzelte er durch die Zimmer. Diesmal zerrte er das Halsband so fest, daß das Kätzchen fast daran erstickte. Die gute Luise putzte  gerade die Fenster. Mit entsetzten Augen verfolgte sie das fürchterliche Geschehen. „Hören Sie auf“, rief sie flehentlich. „Sehen Sie denn nicht, wie Sie die Mia quälen?“ Mit aufgeregten Fingern fuhr sie sich durch den straff gebundenen blonden Zopf. „Das geht Sie gar nichts an“, schrie der Tänzer. Mit hochrotem Kopf verließ er wutschnaubend die Wohnung. Mit hängenden Armen stand die gute Luise da. Der blonde Zopf hing matt auf ihren bebenden Schultern, denn das junge Mädchen weinte, als könne sie nie mehr damit aufhören. Mia lag wie leblos dicht vor dem Sofa, wo sie hingeworfen worden war.

Allmählich kam Bewegung in das wie gelähmt dastehende Mädchen. Sie näherte sich vorsichtig der kleinen Katze, die sich immer noch nicht rührte. Langsam hob sie sie auf. Angstvoll betrachtete sie sie, denn sie befürchtete, sie wäre tot. Doch dann spürte sie ein kaum wahrnehmbares Zittern in dem geschundenen Körperchen. „Du lebst, kleine Mia“, flüsterte die gute Luise leise. In dem Moment hörte sie, wie sich der Schlüssel in der Wohnungstür drehte. Der Tänzer kam zurück! Er durfte Mia nicht nochmal in die Finger kriegen. Das wäre ihr sicheres Ende. Blitzschnell lief das junge Mädchen mit der Katze in ihrem Arm in die Küche, die für einen kurzen Augenblick ein Gefühl von Geborgenheit hatte, öffnete das nicht sehr hohe Fenster und schubste Mia hinaus auf die Straße. „Lauf, kleine Mia, lauf!“, rief sie drängend, während sie ihr mit vor Aufregung zitternden Händen das festgeschnürte Halsband vom Hals löste. Hinter sich hörte sie bereits die tänzelnden Schritte des Doktors, begleitet von dem andauernden widerlichen Singsang „Holla, holla, trallala.“ In höchster Schnelligkeit schloß die gute Luise das Fenster, warf noch einen letzten verzweifelten Blick hinaus, denn sie glaubte Mia verloren. Woher wollte sie die Kraft aufbringen zu fliehen? In ihrem Zustand? Doch es war wie ein Wunder. Die kleine Katze spürte wohl, obwohl sie noch fast besinnungslos war, daß sie nun endlich, endlich frei war! Das verlieh ihr einen nie gekannten Lebensmut. Sie schaffte es tatsächlich sich aufzuraffen. Mit etwas schwankenden Schritten jedoch allmählich immer schneller werdend lief sie die Straße entlang, überquerte diese, rannte über die dahinterliegenden Felder und verschwand schließlich im schützenden Wald. Völlig erschöpft sank sie an den erstbesten Baum. Zufälligerweise war es dieselbe Eiche, an der sich Monate später ihr großer Bruder Filou ausruhen würde. Sie fiel in einen totähnlichen Schlaf und holte sich für ihr neues Leben die notwendige Kraft.

Die gute Luise hatte gerade noch beobachten können, wie Mia hinter den Feldern verschwunden war. Gerade hatte sie das Fenster geschlossen, da fühlte sie sich von hinten mit einem harten Griff gepackt. „Du hast das Vieh freigelassen“, wisperte der Doktor mit seltsam hohler Stimme. Seine Füße begannen zu tänzeln, seine Stimme schraubte sich noch mehr in die Höhe. „Holla, holla“, begann er, während seine Hände wie ein Schraubstock um des Mädchens Hals lagen. Es lag nicht in seiner Absicht, seinen Griff zu lockern. Da holte die gute Luise mit ihrer rechten Hand aus und schlug dem Tänzer mitten in die böse grinsende Visage. Zwar das Mädchen von zierlicher Statur, aber ihre Hände waren inzwischen von der vielen körperlichen Arbeit wie aus Stahl. Das bekam der böse Doktor nun zu spüren. „Ah“, schrie er auf. Augenblicklich ließen seine Hände den Hals des Mädchens los. Er benötigte sie anderweitig nämlich für seinen Mund. Fünf Zähne fielen ihm einer nach dem anderen heraus und hinein in seine Hände. „Holla, holla, trallala“, sagte die gute Luise. Sie ging durch die geöffnete Küchentür. „Ich kündige“, erklärte sie knapp. „Behandeln können Sie sich ja selbst“, fügte sie noch hinzu. Wenn es sein mußte, konnte sie auch mal frech sein die tapfere Luise.

Sie verließ das Haus mit einem guten Gefühl.

  1. Kapitel

Mia erwachte erst am nächsten Morgen unter der Eiche. Viele Stunden hatte sie fest an den starken Stamm gekuschelt geschlafen. Nun rieb sie sich die verschlafenen Äuglein. Überrascht bemerkte sie, daß sie nicht allein war. Eine Herde Rehe und Hirsche umringten sie. Neugierig betrachteten sie das dünne kleine Kätzchen, das Wunden am Hals hatte. Es war nicht unversehrt. Die monatelange schlechte Behandlung war deutlich zu erkennen. Ein junger Rehbock, der noch die kindlichen weißen Punkte auf seinem rotbraunen Fell hatte, löste sich für einen Moment von seiner Mama, trabte zur Mia hin und begann ihr behutsam die Wunden am Hals zu lecken. Mia, die ziemlich erschrocken die vielen Waldtiere um sich herum gemustert hatte, verlor durch das fürsorgliche Lecken ihre Scheu. Behaglich begann sie zu schnurren. Außer von der guten Luise und ganz früher von ihrem Bruder Filou erlebte sie zum dritten Mal, daß ihr etwas Liebevolles von einem Lebewesen widerfuhr. Durch das eifrige Lecken des hübschen Rehbocks taten die Wunden gar nicht mehr so weh. Auf einmal tauchten auch einige Hasen auf, ein Igel, einige verspielte Wildschweinbabys und ihre Mutter, eine riesige Wildsau, die aber gutmütig das seltsame jedoch friedliche Treiben beobachtete.

Langsam kam Bewegung in die Herde der Rehe und Hirsche. Sie wollten weiterziehen, denn alle Eicheln, Bucheckern und andere Leckereien des Waldes waren aufgebraucht. Sie mußten neue Nahrung suchen. Der große Leithirsch stupste die kleine Katze an. Das bedeutete, sie war in der Gruppe aufgenommen, wurde ab jetzt von ihr beschützt. Im langsamen Tempo trabten sie los. Mia lief mit. Doch schon nach wenigen Metern brach sie erschöpft zusammen. Zu viel Kraft hatte sie das Martyrium bei dem Tänzer gekostet. Schnell lief der junge Rehbock zu ihr hin, beugte sich solange zu ihr hinunter, bis es Mia gelang auf seinen Rücken zu krabbeln. Die federleichte Katze war für ihn keine Last. Froh darüber daß er ihr helfen konnte, trug er sie auf seinem Rücken durch den Wald. Er wurde ihr bester Freund, den sie im Laufe der Zeit von Herzen liebhatte. Hasen, Igel und Wildschweine begleiteten sie noch eine Weile. Dann begaben sie sich wieder auf ihre eigenen Wege. Mia erholte sich zusehends in dieser freundlichen Rehherde von den Qualen der vergangenen Zeit. Sie durfte Milch von der Rehmutter des jungen Rehbocks zusammen mit ihm mittrinken. Das war eine kräftigende Kost. Ansonsten buddelte sie sich zwischendurch einen Maulwurf aus, der sich willig von ihr verspeisen ließ. Meistens waren es betagte Maulwürfe, die das harte Waldleben, das ständig in der Erde graben, äußerst anstrengend fanden. Also dienten sie der kleinen Katze mit Freude als Nahrung, die das ganze Leben noch vor sich hatte. Auf diese sinnvolle Weise verabschiedeten sie sich von der Welt.

Mias Bäuchlein rundete sich sichtlich. Von Tag zu Tag wurde sie hübscher. Wie glücklich war jetzt ihr Leben. Sie wurde beschützt, hatte genug zu essen und genug Wasser aus den Bächlein des Waldes zu trinken. Sie hatte die vielen Rehkinder zum Spielen. Einen besten Freund hatte sie auch nämlich den kleinen Rehbock. Kolja war sein Name. Doch nachts wenn alle sich ins weiche Moos gelagert hatten und Mia wie jede Nacht dicht an Kolja geschmiegt die Katzenaugen schloß, da dachte sie an ihren großen Bruder Filou, von dem sie nicht wußte, wo er war, wie es ihm ging, ob er überhaupt noch lebte. Wie sehr wünschte sie sich, wieder bei ihm zu sein! Mit einem kaum hörbaren Maunzen schlief sie endlich ein.

Doch dann kam der Tag, an dem sie endlich ihrem geliebten großen Bruder begegnen sollte, obwohl dieser Tag schlimm begann. Die Herde war wie jeden Morgen erwacht. Frohgemut wollten sie ihre tägliche Nahrungssuche beginnen, da hörten sie ein gefährliches Knurren. Erschreckt blickten sie sich um. Sie hörten ein jähes furchtbares Aufheulen, daß nichts Gutes verhieß. Im gleichen Moment erblickten sie mit Entsetzen ein Rudel  großer grauer Wölfe, das anfing sie gnadenlos zu verfolgen hungrig und jagdlüstern. Die Herde stob vor den Verfolgern davon. An Schnelligkeit war sie dem Wolfsrudel überlegen. Doch gab es die vielen kleinen Rehkinder, die dicht an ihre Mütter gedrängt dahin eilten, jedoch noch nicht so schnell rennen konnten wie diese. Kolja lief auch keuchend neben seiner Mutter her ebenso Mia, die in langen Sätzen dahinstob. Doch die Herde mußte verschnaufen. Die kleinen Rehe konnten nicht mehr. Sie brauchten eine Pause. Alle blieben stehen. Außer Atem und erschöpft hörten sie an dem heiseren gierigen Röcheln, wie die Wölfe näher und näher kamen.

In diesem erstarrten Augenblick, der sich endlos hinzuziehen schien, tauchte wie aus dem Nichts Filou auf. Es überschlugen sich die Ereignisse, aus denen Filou wie vorhin erzählt als Sieger hervorging. Mias größter Wunsch hatte sich erfüllt. Sie hatte ihren Bruder Filou wieder. Sie saß auf seinem Rücken. Wie glücklich war sie jetzt!

Filou war nun also, obwohl er ein Kater, der Leitwolf der Wölfe. Er führte sie mutig und gerecht durch den großen weiten Wald, der oft tief und undurchdringlich schien. Darius war jetzt ein gewöhnlicher Wolf. Er mußte sich seinem Anführer Filou fügen, was er ohne Murren tat. Wollte Filou, der ja noch jung war, seinen Rat, so verwehrte er ihn nicht. Ganz allmählich akzeptierten sie sich, der in die Jahre gekommene Wolf Darius und der junge starke Kater Filou. Ganz allmählich wurden sie Freunde.

Die Herde der Rehe und Hirsche war nie weit weg von dem Wolfsrudel. Unter der strengen klugen Führung von Filou hätten sie es nie mehr gewagt einem einzigen Reh auch nur ein Haar zu krümmen. Im Gegenteil. Von nun ab waren die wilden Wölfe die Beschützer der sanften Rehe. Auf diese Weise graste und äste Mias Rehfamilie immer in ihrer Nähe. Jeden Tag konnte Mia mit ihrem Freund Kolja herumtollen und spielen. Wenn sie vom ereignisreichen Leben im Wald müde war oder wenn sie schlecht träumte, weil sie die schlimmen Erinnerungen an ihre Leidenszeit bei dem grausamen Doktor Tänzer heimsuchten, dann nahm sie Filou auf seinen Rücken. Er beschützte sie. Sein Leben würde er für sie hingeben.

  1. Kapitel

Das alles wußte Fräulein Bohnet natürlich nicht, die Abend für Abend auf ihre beiden Schützlinge wartete, die Abend für Abend hoffte, daß sie zu ihr kommen würden, sich bei ihr satt aßen, sich in ihre Arme schmiegten, um wohlig schnurrend einzuschlafen. Das taten Mia und Filou meistens auch, wann immer sie konnten. Oft besuchten sie das Fräulein am Abend. Kamen sie einmal nicht, so wurde das Fräulein unruhig und traurig, fürchtete sie doch, daß ihnen etwas geschehen sein könnte, daß sie nun niemals mehr an der Haustür kratzen würden. Ein Geräusch, das sie über alles liebte und nach dem sie sich den ganzen Tag lang insgeheim sehnte.

Mit ihrem Bruder, der leider weit weg in Amerika weilte, mailte sie sich weiterhin fast täglich. An ihm hatte sie Halt, freute sich auf seinen Besuch, den er noch in diesem Jahr vorhatte. Sie schrieb ihm von Josef, über dessen Verbleib sie nichts wußte, der einfach verborgen blieb. Er fehlte ihr so. „Vielleicht ist es gut, daß du nicht weißt, wo er sich aufhält, Schwesterlein“, schrieb ihr Bruder. „Wer weiß, wie sich alles entwickelt hätte.“ Doch seine Worte trösteten sie nur wenig. Sie schrieb ihm auch von Filou und Mia, die ihr Leben erhellten. „Darüber freue ich mich sehr“, mailte er zurück, denn er liebte wie sie die Tiere. „Bald werde ich sie ja kennenlernen. Ich bin schon sehr gespannt.“

Doch dazu sollte es nicht kommen. Wenige Tage nach dieser Mail bekam Fräulein Bohnet kurz nach dem Nachhausekommen von ihrer Chorprobe einen Anruf aus Amerika von der Frau ihres Bruders. Ihr geliebter Bruder lag im Krankenhaus auf der Intensivstation. Er war während der Arbeit einfach umgefallen, konnte weder sprechen noch sich bewegen. Nun kämpften die Ärzte um sein Leben. Ihre Schwägerin weinte, als sie ihr das erzählte. Es stand kritisch um ihn. Fräulein Bohnet stand fassungslos mit dem Hörer in der Hand da. Sie konnte nicht glauben, was sie gerade erfahren hatte. Ihren Bruder zu verlieren, der sie stets aufmunterte, sie mit seiner Zuversicht ansteckte, würde auch das Ende ihres eigenen Lebens bedeuten, so fühlte sie. Mit zitternden Händen legte sie den Hörer auf. Mit zitternden Händen ging sie ins Badezimmer und wusch sich ihre Haare mit kaltem Wasser. Danach wankte sie ins Wohnzimmer, ließ sich aufs Sofa fallen und vergrub ihren Kopf in den Händen. In diesem Moment vernahm sie ein Kratzen und Scharren an der Haustür. In dieser tiefen Not kam doch ein klein wenig Freude in ihr auf, denn sie wußte ja, wer da draußen Einlaß begehrte.

Sie ging mit etwas schleppenden Schritten zur Haustür um sie zu öffnen. Sofort stürmte Filou herein mit Mia auf seinem Rücken. Ziemlich verwildert und zerzaust sahen beide aus von ihrem Leben im Wald. Sie stürzten sich auf das Essen, daß ihnen das Fräulein hinstellte und verputzten es hungrig bis auf den Rest. Das Fräulein bürstete die beiden gründlich. Diese Tätigkeiten taten ihr gut, lenkten sie ein bißchen ab. Danach setzte sie sich mit ihren beiden Lieblingen aufs Sofa. Die beiden Katzen kuschelten sich in ihre Arme, schnurrten voller Wohlbehagen und schliefen endlich ein. Das Fräulein spürte ihre Wärme, diesen Frieden, der von den beiden schlafenden Katzen ausging und der auch allmählich auf sie überging. Sie schlief tatsächlich im Sitzen selber ein. Als sie erwachte, war es schon Tag. Filou und Mia lagen immer noch schlafend in ihren Armen. Sie waren die ganze Nacht geblieben, als ob sie ahnten, daß sie ihr Fräulein diese Nacht nicht alleine lassen durften. Sonst machten sie sich für gewöhnlich mitten in der Nacht auf den Weg zurück in den Wald, zurück zu ihren Freunden den Rehen und Wölfen, die sie brauchten und auf sie warteten.

Diesmal aber waren sie geblieben. Mit Schrecken erinnerte sich das Fräulein beim Erwachen am nächsten Morgen an den schlimmen gestrigen Anruf. Fast hatte sie ihn im Schlaf vergessen. Was würde sie heute für Nachrichten bekommen? In diesem Moment klingelte das Telefon. Die beiden Katzen erwachten und rieben sich verschlafen die Augen, wobei sie mit ihren Mäulern meterlang gähnten. Mit bangen Schritten ging Fräulein Bohnet zum Telefon. Sie nahm den Hörer ab. Ihr Herz hämmerte. Ihre Schwägerin verkündete ihr gute Nachricht. Ihrem Bruder ging es besser! Viele Stunden hatten die Ärzte um sein Leben gekämpft. Nun war er außer Lebensgefahr. Auch bestand große Hoffnung, daß er eines Tages wieder laufen und sprechen konnte. Wie war sie dankbar über diese frohe Kunde! Mit einem erleichterten Seufzen drehte sie sich zu ihren Katzen um. Das Sofa war leer. Die beiden Ausreißer hatten sich bereits wieder auf den Weg gemacht. Doch das Fräulein wußte, daß sie wiederkommen würden. Sie mußte sich nun für ihre Arbeit fertigmachen. Also frühstückte sie, wusch sich ihre Haare mit kaltem Wasser und verließ mit beschwingten Schritten das Haus.

  1. Kapitel

Als Mia und Filou in den Wald hineinliefen, kam dicker schwerer Nebel auf, sodaß sie nur mühsam das Wolfsrudel und die Herde der Rehe finden konnten. Filou drängte es hin, denn er hatte sich in eine junge Wölfin verliebt. Saja hieß sie. Sie war die Tochter von Darius, der es mit Wohlwollen sah, daß sich nun das Blut seiner Familie mit dem des schönen stolzen Katers vermischen sollte. Mia war dem Filou zu langsam. Also nahm er sie wieder kurzerhand auf seinen Rücken. Er jagte durch den Wald dahin, während seine scharfen Augen den Nebel durchdrangen. Schließlich erreichten sie das Wolfsrudel, das  schemenhaft zwischen den dichten Bäumen auftauchte. In einiger Entfernung konnte man ebenso schemenhaft die Rehe erkennen. Mia sprang sofort von dem Rücken ihres großen Bruders herunter. Freudig eilte sie zu ihrem Freund dem hübschen rotbraunen Kolja, der vor Freude seinen Kopf ein wenig senkte. Übermütig stieß er sein beginnendes noch weiches Geweih in Mias samtgraues Fell aber nur ganz vorsichtig. Übermütig tollten sie zwischen den Bäumen umher. Langsam lichtete sich der Nebel. Die letzten Strahlen der Abendsonne lugten hervor. Spielerisch glitten sie über das Gehölz, ließen fröhlich Licht und Schatten miteinander spielen.

Unterdessen begrüßte der Leitwolf Filou seine Schar. Jeder einzelne Wolf wurde von ihm mit einem kurzen energischen Biß in den Nacken begrüßt, der aber schmerzlos und ungefährlich war. Mit seinen prüfenden klugen Augen betrachtete er jeden genau, ob er auch keine Dummheiten gemacht hatte. Dann erst ging er gelassenen Schrittes zu seiner Saja hin. Äußerlich gelassen wie es sich für einen Leitwolf geziemt. Innerlich aber tobte in ihm sein heißes Blut, war er voller Begehren. Er verschwand mit Saja hinter den Bäumen. Lange ließen sie sich nicht blicken. Sanft wogten die dichten Blätter der Bäume und Sträucher hin und her. Darius übernahm in dieser denkwürdigen Zeit das Kommando, erteilte Aufgaben und Gebote ganz im Sinne seines Freundes Filou.

Mia war bei den Rehen gut aufgehoben. Immer noch trank sie mit Kolja zusammen die Milch von seiner Mutter. Die beiden spielten am liebsten Verstecken, durften sich aber nicht zu weit von der Herde entfernen. Taten sie es im Eifer des Spiels dennoch, ließ Koljas Mama ein kurzes warnendes Rehbellen hören. Zwischendurch naschten sie hungrig immer wieder Bucheckern und Eicheln. Die Wölfe, die ständig zu ihrem Schutz in ihrer Nähe weilten, zogen es vor, sich von unvorsichtigen Mäusen zu ernähren oder von lebenssatten Maulwürfen. Sie genossen die Abwesenheit vom strengen Filou, der sie ständig in Bewegung hielt um gegen eventuelle Gefahren gewappnet zu sein. Faul lagen sie auf dem Waldboden herum und dösten. Darius ließ sie gewähren. Nun da er nicht mehr der eigentliche Anführer war, ließ er die Zügel etwas schleifen.

Endlich tauchten die schlanke Saja und der männlich kraftvolle Filou wieder zwischen den Bäumen auf entspannt und glücklich nach vielen Stunden vollkommener Liebeswonnen.

Monate später entfernte sich Saja inzwischen trächtig geworden langsam und etwas schwerfällig von ihrem Rudel. Sie buddelte sich versteckt im tiefen Wald eine Höhle aus Blättern und Holzstöcken. Dort legte sie sich hinein und wartete auf ihren großen Tag. Natürlich wußte die Wölfe, was dort bald geschehen würde. Sie ließen Saja ihre Ruhe. Geduldig warteten sie ab.

Eines Tages an einem sonnendurchfluteten Nachmittag, vernahmen sie ein ganz zartes leises Fiepen. Filou, der sich schon die ganze Zeit in gespannter Erwartung  fast reglos verhielt, eilte mit langen Sprüngen zu seiner Saja hin. Da lag sie. Erschöpft aber sehr glücklich leckte sie ihre fünf Jungen, die sich winzigklein an sie schmiegten. Sofort begannen sie zu trinken. Es waren Wolfskatzen. Vier Weibchen und ein Männchen. Die ersten und bisher einzigen, die die Welt bisher gesehen hat. Niedlich sahen sie aus. Ganz wie kleine Wölfe. An ihren Schnäuzchen hatten aber die Welpen feine Schnurrhaare als einziges Zeichen, daß ihr Vater kein Wolf sondern ein Kater war. Zärtlich leckte Filou seine Kinder, die wie er und Saja graues Fell hatten. Die Kleinen hatten auch diesen silbrig grauen Schimmer. An diesem Tag schimmerte Filous Fell besonders silbern. Seine Augen leuchteten golden wie nie. Alle anderen Tiere waren langsam dazu getreten, die Rehe zusammen mit Mia und den Wölfen, die kleinen neugierigen Wildschweine, der Hase zusammen mit seinem Freund dem Igel. Staunend umringten sie die glückseligen Eltern und die leise schmatzenden Wolfskatzenkinder, die sich an der Milch labten. Bald hatten Mama Saja und Vater Filou Namen für sie gefunden. Sie hießen Nani, Nele, Namira, Nina und Nathan. Fast geräuschlos war dieses Wunder geschehen. Andächtig in großer Stille betrachteten die Tiere des Waldes die kleinen Wolfskatzen und ihre Eltern. Ganz oben in den Wipfeln der alten Eichen wiegten sich von allen unbemerkt die Urmutter und der Urvater aller Katzen Alwina und Casanova zusammen mit dem Wind hin und her. Keiner der anwesenden Tiere wagte es irgendwelchen Lärm zu machen, denn das hätte Gefahren ungeahnten Ausmaßes heraufbeschwören können, denn die größte Gefahr lauerte überall. Und diese Gefahr hieß: Mensch.

  1. Kapitel

Die Zeit verstrich. Das Leben fühlte sich schön und warm an. Vorerst war von einer drohenden Gefahr nichts zu spüren. Die Tiere lebten miteinander, Rehe und Wölfe. Sie suchten nach Nahrung und zogen zu einem anderen Platz, wenn diese aufgebraucht war. Der Wald bot ihnen reichlich Futter und Wasser. Die Kleinen spielten miteinander. Die Großen paßten auf, daß ihnen nichts Böses geschah. So vergingen die Jahre. Der Frühling, der Sommer, der Herbst und der Winter, die Tage und Nächte, in denen sie das Glück des Lebens in sich spürten. Sajas und Filous kleine Babys wuchsen zu bildhübschen Wolfskatzenkinder heran. Sie tollten mit den anderen Tierkindern herum. Niedlich sah das aus, wenn sie Verstecken spielten und die zarten Schnurrhaare der Wolfskätzchen vor Erregung zitterten. Manchmal purzelten sie vor Übermut wild durcheinander. Wenn das Spiel zu aufregend wurde, entfuhr ihnen auch mal ein „Miau“ aber nur so zwischendurch.

Filou vergaß sein geliebtes Fräulein Bohnet nicht. Regelmäßig besuchte er sie nach wie vor mehrmals in der Woche mit Mia auf seinem Rücken. Seine Kinder brachte er nicht mit auch nicht Saja. Sie waren zu schüchtern. Lieber wollten sie im schützenden Wald bleiben. Und doch sollte das Fräulein von deren Existenz erfahren.

Eines Tages spielten und tollten die Wolfskatzen wie immer mit den anderen herum. Alle Eltern saßen einträchtig beisammen auch Saja und Filou. Zufrieden betrachteten sie das fröhliche Treiben. Auf einmal hob Filou den Kopf. Sein Blick wurde ernst und konzentriert. Die Nase hielt er schnuppernd in die Luft. Dann bekamen seine goldgelben Augen diesen finsteren drohenden Ausdruck. Mit einem Mal setzte er sich in Bewegung weg von den anderen und raste mit einer nahezu entfesselten Kraft durch den Wald dahin. Alle Tiere gerieten in eine solche Aufregung durch diesen unvorhergesehenen Aufbruch Filous, daß sie ihm blindlings folgten. Nur von ihm und von seiner Kraft fühlten sie sich geschützt, denn es lauerte doch anscheinend irgendwo eine Gefahr.

Filou hatte mit seinen feinen ungewöhnlich ausgeprägten Sinnen gespürt, daß sein über alles geliebtes Fräulein in großer Gefahr schwebte vielleicht sogar in Lebensgefahr. Schon hatte er in hohem Tempo den Wald hinter sich gelassen. Nur einmal hatte er kurz innegehalten, hatte sich umgedreht, sich die Mia geschnappt, die neben Kolja herjapste und sich auf seinen Rücken gesetzt. Er war jetzt so schnell, daß er schon fast über die angrenzenden Felder flog, dicht hinter ihm die gesamte Rehherde und das Wolfsrudel. Gut, daß es bereits dämmerte und dieses seltsame Aufgebot fast unbemerkt vonstatten ging.

Filou hatte jetzt die Straßen der Stadt erreicht. Er jagte geradewegs auf das Haus zu, in dem das Fräulein wohnte, hin zu dem erleuchteten Wohnzimmerfenster. Dort blieb er lautlos stehen ebenso sein Gefolge. Die Rollos der anderen Nachbarn waren schon heruntergezogen. Die schliefen alle auch der Hausmeister mit seinen erhofften drei Promille. Der Kopf war wohl  wieder auf den Küchentisch geplumpst.

Es  zeigte sich den Tieren ein gespenstisches Bild. Fräulein Bohnet saß auf dem Sofa, das normalerweise ein Hort der Ruhe und des Aufgehobenseins war für sie und ihre Schützlinge. Doch diesmal nicht. Sie hatte ein Tuch im Mund, an Händen und Füßen war sie mit Stricken gefesselt. Vor ihr stand Herr Tänzer mit einem Messer in der Hand, das er drohend und ganz dicht vor ihr Gesicht hielt. Fräulein Bohnet saß zusammengekauert da. Ihr ergrauter Haarknoten zitterte vor Angst hin und her. „Holla,holla,trallala“, hörten die Tiere ihn drinnen gedämpft mit seiner fast singenden hohen Stimme sprechen. „Wo sind die Freßschweinchen. Häh? Raus mit der Sprache, Alte. Sonst gibt’s ein paar hübsche Schnitzer in dein Gesicht. Ich will sie wiederhaben. Sofort!“, schrie er auf einmal, daß das Fräulein zusammenzuckte und die Tiere draußen hinter dem Fenster ebenfalls vor lauter Schreck. Nur Filou nicht. Der stand nur da. Reglos und still.

Herr Tänzer hatte damals, als er den noch kleinen Filou durch die Luft geschleudert hatte, leider noch einmal zurückgeschaut und gesehen, wie dieser vor der Haustür gelandet war und ein kleines ältliches Fräulein ihn aufgehoben und ins Haus getragen hatte. Dem Tänzer war es egal gewesen. Aber nun hatte er erfahren, daß diese grauen Katzen unerhört wertvoll waren. Viel Geld würde er bekommen, wenn er sie an entsprechende Pelzhändler verkaufte, die ihnen das Fell über die Ohren zogen und teure Jacken und Mäntel daraus machten.

An seinen Singsang Worten konnte man erkennen, wie dumm er eigentlich war, denn wie sollte Fräulein Bohnet antworten, wenn sie einen Knebel in ihrem Mund hatte? Auf die Idee ihn herauszunehmen, kam er nicht. Dazu war er einfach zu blöd. Aber das Fräulein hätte sowieso nichts gesagt trotz ihrer Angst. Lieber würde sie sterben, als ihren geliebten Kater und seine kleine Schwester zu verraten. Allerdings überkam sie das dringende Bedürfnis, sich ihre Haare mit kaltem Wasser zu waschen.

In diesem Moment hörte man das Bersten von zersplitterndem Glas. Mit einem einzigen Schlag seiner Pfote hatte Filou das Fenster entzwei geschlagen. Mit einem einzigen riesigen Satz stand er im Wohnzimmer. Und mit einem weiteren gezielten Schlag seiner überaus kräftigen Pfote, deren Krallen weit ausgefahren waren, streckte er den feigen bösen Herrn Tänzer zu Boden. Rittlings setzte er sich auf ihn drauf und wollte ihm mit seinen knurrenden scharfen Zähnen den Rest geben. Doch das hatte der tänzelnde Herr Tänzer schon selbst erledigt, denn beim Fallen stieß er sich aus Versehen das Messer eigenhändig in die Brust und war auf der Stelle mausetot. Rehe und Wölfe waren inzwischen ebenfalls einer nach dem anderen durch das geöffnete Fenster ins Wohnzimmer gesprungen und bevölkerten es vor Fräulein Bohnets staunenden ungläubigen Augen. Darius biß behutsam ihre Stricke durch. Nun war sie wieder frei. Erleichtert aber immer noch zitternd löste sie sich den Knebel aus dem Mund, während die Wölfe, die sich ja in den letzten Jahren immer nur von Mäusen und lebensmüden Maulwürfen ernährt hatten, sich nun endlich an dem tanzenden Widerling sattfressen konnten. Es knirschte und knackte und ganz leise vernahm man ein ein letztes „Holla, holla, trallala.“ Dann war Herr Tänzer Geschichte.

Nun da das Fräulein gerettet und in Sicherheit war, drängte es Filou so schnell wie möglich mit seinen Schutzbefohlenen in den Wald zurückzukehren, damit sie wieder in Sicherheit wären, denn er hatte ja die Verantwortung für alle. Kurz und innig kuschelte er sich mit Mia auf Fräulein Bohnets Schoß. Sie streichelte ihren Lebensretter und seine kleine Schwester. Sacht drückte sie ihr Gesicht in das weiche Fell der beiden schnurrenden Katzen.

Doch es war nur ein kurzer Moment der Ruhe. So schnell wie er gekommen war verschwand Filou mit seiner Schwester Mia wieder durch das Fenster und hinter ihm das gesamte Wolfsrudel mitsamt den Rehen. Das Fräulein sah gerade noch, wie ihrem stolzen Kater eine junge schöne Wölfin folgte zusammen mit fünf entzückenden kleinen Wölfen mit Schnurrhaaren an den Schnäuzchen. Da wußte das Fräulein um Filous Familienglück und um seine Berufung. Still lächelte sie in sich hinein. Dann ging sie ins Badezimmer und wusch sich endlich ihre Haare mit kaltem Wasser.

  1. Kapitel

Viele Monate gingen dahin, die die Tiere in Frieden und Glück verbrachten. Über allem wachte streng aber gerecht Filou. War er in Fräulein Bohnets Schoß ein zärtlich schnurrendes Fellknäuel, so war er hier draußen im schönen aber gefahrvollen Wald groß und mächtig, immer etwas angespannt und stets wachsam. Zu Recht, denn die Gefahr, die er ständig witterte und insgeheim befürchtete, überrollte sie eines Nachts. Es war Jagdzeit. Ein Fest für die Jäger, die Hölle für die Tiere. Gegen alles konnten sie sich wehren, nicht aber gegen die Menschen, nicht gegen ihre Hinterhältigkeit, mit denen sie die Tiere austricksten.

In jener Nacht pirschten sich die zahlreichen Jäger mit ihren Jagdhunden geräuschlos an. Sie hatten diese Nacht gewählt, weil sich der Mond für drei Tage völlig zurückgezogen hatte. Es war vollkommen dunkel. Hätte der Mond geschienen oder wäre er zwischen den dahinziehenden Wolken immer mal wieder hell und glänzend aufgetaucht, wären die Tiere von ihm gewarnt worden. So aber waren sie den Jägern ausgeliefert, die leise und stetig nahten. Die Jagdhunde schlichen ebenso leise über den samtenen Waldboden. So hatte man es ihnen beigebracht.

Keiner von ihnen wußte allerdings, daß inzwischen eine Katze das Kommando über die Wölfe übernommen hatte. Und Katzen sehen gut im Dunkeln! So erspähte der stets aufmerksame Filou, der im Wald eigentlich nie richtig schlief, die schwarzen heranschleichenden Schatten große und kleine. Menschen. Und Hunde. Ihre Feinde. Es gab aber auch gute Menschen, die ihre Freunde waren, die ihr Leben für sie geben würden wie Fräulein Bohnet, ihr Bruder, ihre Nachbarn und die gute Luise. Aber die waren in dieser Nacht nicht hier.

Geräuschlos glitt Filou von der Anhöhe herunter, auf der er saß. Ebenso geräuschlos lief er zu seinem Wolfsrudel, versammelte es um sich und verständigte sie über die Gefahr, in der sie sich alle befanden. Rasch rannten sie hinüber zu den Rehen, die im Stehen schliefen. Die Freunde weckten sie auf. Ganz eng rückten sie alle zusammen die Rehe und die Wölfe. Die Kleinen nahmen sie in ihre Mitte. Filou nahm Mia auf seinen Rücken. Saja hielt sich dicht hinter ihm zusammen mit den fünf kleinen Wolfskatzen. Filou hatte sich vorne an die Spitze gestellt. Ein einziges Mal klopfte er kurz mit seinem Schwanz auf den Boden. Das war das Zeichen. Und dann rannten sie alle los so schnell und so leise wie sie konnten.

Sie gewannen einen  guten Vorsprung. Jedoch die Kleinsten unter ihnen waren noch unerfahren. Unbeholfen tapsten sie voran. Holz knackte. Ab und zu raschelte es. Es ließ sich nicht vermeiden. „Da war doch was“, riefen die Jäger. Sofort trompeteten sie in ihre Jagdhörner, um die Tiere zu verstören, was ihnen auch gelang. Die Jagdhunde durften jetzt bellen und wurden von den Leinen gelassen. Die Hetzjagd hatte begonnen. Die verfolgten Tiere rannten jetzt nicht mehr wohlgeordnet durch den Wald, wie ihnen von Filou befohlen worden war. In wilder Panik flohen sie nun davon.  Die Jäger kamen immer näher. Nun stellten sie ihre gleißenden Scheinwerfer an, die die Tiere blendeten. Rehe und Wölfe stoben jetzt wild durcheinander. Mütter und Väter schrien nach ihren Kindern. Die Kinder wimmerten nach ihren Müttern und Vätern. Erste Gewehrschüsse knallten. „Gleich haben wir sie“, brüllten die Jäger. „Morgen gibt’s was Ordentliches auf den Teller. Das wird herrlich knirschen und knacken, wenn wir das leckere Fleisch von den Knochen abnagen.“ Sie lachten. Die Hunde jaulten gefügig. Die Verfolger hatten inzwischen jene Eiche erreicht, an deren breiten Stamm sich einst zuerst Filou und später Mia ausgeruht hatten und in deren Wipfel hoch oben die beiden Urkatzen aller Katzen Alwina und Casanova ruhten und von dort die Welt beobachteten. Jetzt taten sie etwas, was sie noch nie getan hatten. Sie mischten sich ein. Beide ließen sich gleichzeitig fallen direkt vor die Füße der Jäger. Die sahen auf einmal völlig überrascht zwei riesige graue Katzen vor sich. Vier gelbe Augen starrten sie an. Scharf und undurchdringlich. Die beiden waren wirklich von ungewöhnlicher Größe. Man wußte gar nicht, wo sie anfingen und wo sie aufhörten. Die Jagdhunde heulten verängstigt auf. Sie machten kehrt. Nun waren sie es, die in Panik in die Richtung zurückliefen aus der sie gekommen waren.

Und dann kam Filou! Mit einem einzigen Satz sprang er dem erstbesten Jäger an den Hals. Ein kurzer rauher Ruf drang befehlend aus seiner Katzenkehle. Die Wölfe gehorchten. Auf der Stelle trabten sie heran, um es ihrem Herrn gleichzutun. Die Jäger sahen sich mit ungläubigem Erstaunen, das in Entsetzen umschlug, einer Horde Wölfe gegenüber, die ganz offensichtlich von einem Kater als Rudelsführer geleitet wurden. Im Hintergrund stand zitternd eine Herde Rehe, die seltsamerweise völlig gegen die Natur von diesen Wölfen beschützt wurden.  Auf dem Rücken dieses irrsinnigen Katers, der an der Kehle ihres Jagdkollegen hing, kauerte eine kleine Katze und krallte sich an ihm fest. Davor hockten zwei uralte graue Katzen, deren Größe überhaupt nicht abzuschätzen war und bei denen man nicht wußte, was sie vorhatten. Im Hintergrund erblickten sie fünf kleine Wolfswelpen mit Schnurrhaaren an den Schnauzen. Das war zuviel. Die Jäger bliesen zum Abmarsch. Sie drehten sich um und taten es ihren Jagdhunden nach. Filou ließ vom Hals des Jägers ab. Noch hatte er nicht hineingebissen. So schnell wie sie gekommen waren, waren die Jäger wieder verschwunden. Die Tiere waren gerettet!

Erschöpft begutachteten sie sich gegenseitig. Noch standen alle ganz ungeordnet da Rehe und Wölfe durcheinander. Filou und Mia waren unversehrt ebenso Saja und die Wolfskatzen. Hoch oben in dem Wipfel der Eiche wiegten sich bereits wieder Alwina und Casanova gemächlich hin und her. Alles schien gut. In diesem Moment maunzte Mia laut und klagend auf. Sie hatte sich vom Rücken ihres Bruders gelöst, weil sie zu ihrem Freund Kolja wollte. Mit schnellen Sprüngen war sie zu ihm geeilt. Seltsam reglos lag er da. Alle Gewehrschüsse der Jäger hatten ihr Ziel verfehlt bis auf einen. Dieser eine Schuß hatte den Kleinen am Kopf getroffen. Kolja blutete stark. Ein bißchen bewegte er sich noch. Ein kläglicher jammervoller Laut kam aus seinem Mäulchen. Erste Sonnenstrahlen des beginnenden Tages huschten mit leisem Schrecken über das Gehölz. Seine Mutter stand über ihn gebeugt. Zärtlich leckte sie seine Wunde mit ihrer Zunge. Die Rehe und die Wölfe umringten den kleinen sterbenden Rehbock in einem schützenden Kreis. Mia miaute verzweifelt. Sie leckte ebenfalls ihren besten Freund. Filou stand dicht neben ihr. Er schaute auf Kolja herab. Es lag so viel Traurigkeit in den Augen des kleinen Rehbocks. Wie gern hätte er noch gelebt. Wie gern wäre er mit den Tieren des Waldes besonders mit seiner Freundin Mia durch den Wald gerannt spielend und voller Lebensfreude. Wie gern hätte er sein kindliches Geweih an den Bäumen geschubbert. Nun wurde ihm dieses Leben genommen durch eine sinnlos abgefeuerte Gewehrkugel. Er atmete kaum noch. Er stieß keine kläglichen Laute mehr aus. Er ertrug es jetzt einfach. In seinen sanften rehbraunen Augen, deren Blick langsam von den umstehenden Tieren abglitt, war etwas zu sehen, was man nicht vergessen kann. Ergebenheit in sein Schicksal, ein Einverständnis mit dem, was ihm jetzt gerade geschah und etwas, das man eigentlich nicht fassen kann. Sanftmut und Güte. Das alles lag in Koljas Augen, der in diesem Moment gestorben war.

  1. Kapitel

Die Tiere trauerten sehr um Kolja. Sie vergaßen ihn nie. Mia hatte nun ihren besten Freund verloren. Sie fühlte sich verloren. Nach und nach aber wuchs sie in die Familie ihres Bruders hinein. Filou, Saja, Sajas Vater Darius und die fünf kleinen Wolfskatzen nahmen sie liebevoll auf. Sie war jetzt sozusagen das sechste Wölfchen.

Die Rehe und die Wölfe, Hase, Igel und Wildschweine, alle Tiere, die in ihrer Nähe weilten, waren von nun an in Sicherheit, denn kein Mensch wagte sich mehr in ihre Nähe. Es gibt ihn den einen sicheren Ort tief im Wald, den kein Mensch je betreten wird. Dort sind alle Tiere geschützt ebenso wie die Bäume. Kein Tier wird gejagt. Kein Baum wird gefällt.

Filou blieb der Anführer der Wölfe. Er hielt sie zusammen. Die Rehe blieben zusammen mit ihrem Leithirschen immer in ihrer Nähe. Nie vergaß Filou gemeinsam mit Mia mehrmals in der Woche für ein paar Stunden Fräulein Bohnet zu besuchen. Entweder sie kratzen an der Haustüre oder sie sprangen einfach durch das notdürftig reparierte Fenster direkt in die Arme des entzückten Fräuleins.

Spät in der Nacht kehrten sie jedesmal wieder in den Wald zurück. Solange die Nacht anhielt und der Tag noch nicht begonnen hatte, ruhten sie sich an der breiten alten Eiche aus, in deren Wipfel sich Alwina und Casanova im rauschenden Nachtwind hin und her wiegten. Zwei riesige graue Schatten, die den einzigen sicheren Ort im Wald bewachten.

Obwohl Filou alles besaß, was er sich gewünscht hatte, fühlte er eine wilde fremde Liebe in sich. Ihr jagte er nach in einer besinnungslosen Sehnsucht. Das Wolfsrudel folgte ihm still und geschäftig. Ihm, ihrem finsteren Anführer Filou, der jedoch stets und ununterbrochen seine liebliche Schwester Mia auf dem Rücken trug, während Fräulein Bohnet zu Hause auf sie wartete.

 

Danke, Filou und Mia, dass es euch gibt.

Und Kolja

 

Nachwort

Die Person des Fräulein Bohnet entspringt einer realen Figur. Persönlich habe ich sie leider nie kennengelernt. Sie hat zusammen mit meiner Mutter in der Kantorei an Sankt Martin in Kassel gesungen. Es fiel mir auf, dass meine Mutter immer, wenn sie abends von der Chorprobe nach Hause kam, von Fräulein Bohnet erzählte. Dabei schien auf den ersten Blick an dem Fräulein gar nichts besonderes zu sein. Sie war stets freundlich und anteilnehmend aber auch sehr still und schüchtern. Nach der Chorprobe ging sie mit den anderen weg, sprach kaum etwas, lächelte jeden freundlich an und ging als erste nach Hause.

Irgendwie faszinierte es mich allmählich immer mehr, wenn meine Mutter von ihr erzählte. Es schien mir, als ob gerade in diesem stillen Wesen des Fräuleins eine verborgene Kraft lag. Mir war klar, dass ich einmal über sie schreiben würde. Eines Tages schied sie für alle völlig überraschend freiwillig aus dem Leben. Meine Mutter berichtete uns ganz erschüttert davon. Sie ging auf die Beerdigung und erzählte uns hinterher mit bewegten Worten, dass der Bruder von Fräulein Bohnet am Grab seiner Schwester eine sehr berührende und tröstende Rede gehalten hatte.

In der Figur des „Josef“ versuche ich das Thema Todessehnsucht vorsichtig einfließen zu lassen. Ansonsten ist meine Geschichte um Fräulein Bohnet und Kater Filou frei erfunden in der Hoffnung, den geheimnisvollen und wunderbar menschlichen Wesenskern des Fräuleins getroffen zu haben.

Martina Oberthür

 

 

 

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