Kindergeschichten

Das goldene Schloss

Hinter einem großen See steht das goldene Schloss. Tagsüber sieht es ganz normal aus. Aus rotem Backstein mit vielen Fenstern. Menschen gehen aus und ein, besichtigen dies und das. All die Kostbarkeiten, die so ein Schloss in sich birgt. Abends müssen sie es wieder verlassen. Laut drehen sich die Schlüssel in den Pforten, wenn es abgeschlossen wird. Ein kleines Weilchen setzen sich die Menschen noch auf die Bänke, die rund um den See aufgestellt sind. Sie betrachten das Schloss, wie es langsam in der aufkommenden Dämmerung von innen erleuchtet wird, wie es in goldenem Glanz erstrahlt. Dann gehen sie allmählich nach Hause, essen zu Abend, unterhalten sich, lachen, schimpfen, seufzen, singen, reden über dies und das. Schließlich gehen sie zu Bett, um zu schlafen.

Deshalb können sie nicht sehen, dass das Schloss die ganze Nacht hindurch in seinem goldenen Licht weiter erstrahlt. Vor ihm liegt schweigend der tiefdunkle See. Hinter dem Schloss sind unzählige Blumenbeete voll mit den schönsten Blumen, die sich, von seinem Licht erleuchtet, in den buntesten Farben zeigen. Leise wiegen sie sich im kühlen Nachtwind. Die Blumenbeete erstrecken sich in eine solche Weite, dass man ihr Ende gar nicht sehen kann. Mal lacht es in den Beeten, dann wieder ist ein leises Seufzen zu vernehmen, zwischendurch hört man es unterdrückt schimpfen, hin und wieder ertönt ein zartes Singen.

Das goldene Schloss aber steht ruhig da.

Die Menschen ahnen von all dem nichts. Friedlich schlafen sie in ihren Betten. Es gibt aber eine Stunde in der Nacht, von der sie nichts wissen, weil sie da am tiefsten schlafen. Sie wissen nicht, wo sie sich befinden, was mit ihnen geschieht. In dieser Stunde nämlich öffnen sich ihre Herzen, fliegen heraus, gleiten durch die Nacht geradewegs hin zum Schloss, schweben darüber, nähern sich rasch den bunten Blumenbeeten. Sehnsuchtsvoll lassen sie sich darauf niedersinken. Vorsichtig neigen sie sich über die Blumen, versuchen sie sacht zu berühren. Man hört es leise lachen, seufzen, schimpfen, singen. Das Schloss taucht sie jetzt alle in sein goldenes Licht.

Dann aber ist die eine Stunde um.

Die Herzen lösen sich von den bunten Blumen. Sie kehren zurück zu den schlafenden Menschen, die von dieser einen Stunde nie etwas erfahren.

Das Licht des Schlosses erlischt am frühen Morgen.

Um in der nächsten Nacht wieder zu leuchten.

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