Kindergeschichten

Onkel BimBam

Wenn man ganz oben am Rande der Wiese steht auf dem kleinen Waldweg, kann man weit hinunter sehen auf die Berge, Hügel, Felder und auf die kleine Stadt mit der grünen Kirchturmkuppel.

In der kleinen Stadt gibt es eine lange Straße, die Bahnhofstraße, in der viele Kinder wohnen und spielen. Besonders lieben die Kinder den Kiosk am oberen Ende der Straße, wo die alte Frau Schimmang Süßigkeiten in Hülle und Fülle verkauft, am leckersten sind die langen, bunten Lakritzstangen.

Frau Schimmang hat auch einen Mann, der etwas sonderbar aussieht. Er ist nicht sehr groß, hat einen kugelrunden Kopf mit wenigen, grauen Haaren drauf, ein Doppelkinn und einen großen, dicken Bauch, der sich unter dem weißen Unterhemd hervorwölbt, dass er ständig trägt. Sonst nichts, nur noch eine weiße, kurze Hose. Ach ja, um den Hals trägt er eine Kette mit einem Glöckchen dran, das hin und wieder leise bimmelt.

Jeden Morgen in aller Frühe steht der kleine, dicke Mann neben dem Kiosk seiner Frau und wäscht sich in einer irdenen Schüssel. Die Kinder stehen in seiner Nähe und gaffen ihn an. Er aber beachtet sie nicht und lächelt stillvergnügt in sich hinein.

Nach dem Waschen macht er sich auf den Weg, um sich seine täglichen Frühstückszigarren zu holen. Er geht die lange Bahnfofstraße hinunter, das heißt, er geht nicht, er hüpft. Erst hüpft das rechte Bein, dann hüpft das linke Bein. Der dicke Bauch hüpft mit und ein wenig auch das runde Doppelkinn. Das Glöckchen an der Kette um seinen Hals bimmelt leise. Die Kinder rennen jubelnd und kreischend hinter ihm her. „Onkel Bimbam, Onkel Bimbam“, so schallt es überall her, denn so nennen sie ihn. Er aber beachtet sie nicht und lächelt stillvergnügt in sich hinein.

So lebten und spielten die Kinder in der kleinen Stadt mit der grünen Kirchturmkuppel und jeden Morgen verfolgten sie lachend den Onkel Bimbam, der es ruhig mit sich geschehen ließ.

Eines Tages war es den Kindern zu langweilig in der Bahnhofsstraße. Sie machten sich auf in das kleine Wäldchen am oberen Rand der Wiese, um dort ihre wilden Spiele zu spielen. Während sie rumtobten und herumkletterten, ertönte plötzlich ein heiseres Knurren, das sich zu einem bedrohlichen Bellen steigerte. Die entsetzten Kinder sahen einen großen, braunen Hund auf sich zurasen. Das war Balthasar. Er hatte nur noch ein Ohr,das ander war ihm wegoperiert worden, weil berühmte Wissenschaftler mit ernsten, würdevollen Mienen herausfinden wollten, ob ein Hund mit einem Ohr genauso gut hört wie mit zwei Ohren. Es sei wichtig für die Forschung, meinten sie.

Balthasar mied daraufhin die Menschen und streunte allein in der Gegend herum. Hier im einsamen Wald stieß er auf die spielenden Kinder, rannte voller Panik auf sie zu, um sie zu beißen und sich dadurch zu verteidigen, denn er glaubte, sie hätten Böses mit ihm vor. Die Kinder ihrerseits standen wie gelähmt vor Entsetzen da, sie glaubten, das Ende ihres Lebens wäre gekommen. Da hörten sie in der Ferne ein leises Bimmeln, das rasch lauter wurde. Ein kleiner dicker Mann mit einem weißen Unterhemd und einer kurzen weißen Hose tauchte auf, näherte sich der Gruppe, den Kindern, die vor dem Hund Angst hatten und dem Hund, der vor den Kindern Angst hatte, und ging mit kleinen, hüpfenden Schritten auf den bellenden Balthasar zu. „Onkel Bimbam“, flüsterten die Kinder.

Balthasar spitzte sein eines Ohr. Seltsam sah er aus, der kugelige, hemdsärmelige Mann. Gar nicht gefährlich. Das Glöckchen bimmelte zart, Onkel Bimbam streckte die Hand aus, behutsam tätschelte er den Kopf des Hundes, ganz sacht berührte er sein Ohr. Die Kinder hielten die Luft an.

Balthasar hatte zu bellen aufgehört, er schnupperte ein wenig an der menschlichen Hand, die ihm kein Leid zufügte. Dann trottete er langsam weg, verschwand im Wald. Die Kinder waren gerettet. So schnell allerdings wie er erschienen war, verschwand auch Onkel Bimbam mit schnellen, hüpfenden Schritten.

Von da an liebten ihn die Kinder, sie stellten ihm frühmorgens seine Schüssel mit Wasser zurecht und wenn er die Straße hinunterhüpfte, hüpften sie mit . „Onkel Bimbam, Onkel Bimbam“, riefen sie. Aber diesmal klang es herzlich und warm. Er aber beachtete sie nicht und lächelte stillvergnügt in sich hinein.

Doch eines Tages hielt ein großes Auto mit dunklen Fensterscheiben am oberen Ende der Bahnhofstraße . Ein Sarg wurde aus dem Kiosk von Frau Schimmang herausgetragen. Darin lag Onkel Bimbam. Er war tot. Frau Schimmang weinte, die Kinder weinten mit.

Die Beerdigung von Onkel Bimbam fand kurze Zeit darauf auf dem Friedhof statt in der Nähe der kleinen Stadt. Die untröstliche Frau Schimmang und die schluchzenden Kinder folgten dem Sarg, der von vier stattlichen Männern getragen wurde. Am Grab angelangt ließen sie ihn langsam an starken Seilen in die Gruft hinabgleiten, während der Herr Pastor eine lange, leise, salbungsvolle Rede hielt. Auf einmal aber riß eines der Seile, der Sarg krachte unsanft hinunter und der Deckel öffnete sich.

Der Sarg war leer!

Alle schauten verblüfft hinunter. Schließlich sagte Frau Schimmang: „ So war er immer, mein Mann. Mal war er da, mal wieder nicht.“

Der Pfarrer schlug die Hände zusammen. Laut rief er: „Wofür habe ich die lange Rede gehalten? Ich frage Euch. Wofür?“

Die Kinder sahen auf eimal sehr froh aus. Frau Schimmang auch. „ Kommt mit zum Kiosk“, forderte sie die ganze Bande auf. „Ich spendiere eine Runde Lakritze.“ „Jaaaaa“, schrien alle begeistert. Lachend und lärmend liefen sie hinter ihr her.

„ Da kommt ja Balthasar“, rief eines der kleinsten Kinder. Tatsächlich kam der große, braune Hund die Bahnhofstraße herunter auf sie zugelaufen. „ Komm, Balthasar, komm“, riefen die Kinder fröhlich, denn sie hatten keine Angst mehr vor ihm.

Balthasar wedelte freundlich mit dem Schwanz, sein eines Ohr war hochaufgerichtet. Um den Hals trug er eine Kette mit einem Glöckchen dran.

Hin und wieder bimmelte es leise.

No Comments

Leave a reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *